Bei Tag und Nacht
von Langen das Lager von Baron Wolvermont teilen.
Elissa stand angespannt hinter dem grünen Spieltisch im Casinozimmer von Blauenhaus und sah zu, wie Botschafter Pettigru beim Kartenspiel verlor. Tausende von Pfund wurden gesetzt und verloren - die Chips des Botschafters sammelten sich in einer Ecke des Tisches.
Colonel Kingsland hatte sich dem Spiel angeschlossen, und seine nicht unbedeutenden Gewinne wuchsen zusehends. Er war ein guter Taktierer, vielleicht sogar außergewöhnlich; denn sein Gesichtsausdruck blieb undurchdringlich, auch wenn er sein Gewinnblatt auf den Tisch legte. Immer wieder traf sein Blick auf den ihren, aber Elissa zwang sich, wegzusehen. Sie war entschlossen, ihn zu ignorieren und ihre Aufmerksamkeit ganz auf Pettigru zu richten: der Grund ihres Hierseins.
Das fiel ihr keineswegs leicht. Und zwar kehrten ihre Gedanken immer wieder zurück zu dem Spaß, den sie beim Spiel mit den Kindern gehabt hatten, und dann zu dem Kuß im Garten.
Der Botschafter fluchte leise, und Elissas Aufmerksamkeit kehrte zum Tisch zurück. Er hatte wieder verloren und trank auch zuviel, eine Neigung, die Elissa erst kürzlich an ihm aufgefallen war; deswegen spielte er übrigens noch schlechter. Sie fragte sich, ob er sich wirklich derartige Verluste leisten konnte und ob seine Frau und seine Familie womöglich darunter litten.
Trotz all ihrer Versuche, objektiv zu bleiben, hatte sie begonnen, Sir Williams väterlich-bärbeißige Art und freundschaftliche Aufmerksamkeit zu mögen - eine Erkenntnis, die sie mit großer Erleichterung erfüllte, da er offensichtlich mehr Wert auf ihre Gesellschaft legte als auf ihren Körper. So war eine gewisse Vertrautheit zwischen ihnen entstanden.
Dennoch machte sie sich keine Illusionen. Der Botschafter stand auf der Liste der Verdächtigen des Mordes an ihrem Bruder, und das durfte sie nicht vergessen. Er war ein kluger Mann und hatte wichtige Beziehungen. Aber wenn seine Art zu spielen so wie heute abend charakteristisch für ihn war, dann brauchte er sicher grundsätzlich viel Geld. Sir William war als Falke daher nicht auszuschließen.
Allerdings bestand auch die Möglichkeit seiner Unschuld. Mit diesem Gedanken und weil sie es nicht ertragen konnte, daß er noch mehr verlor, beugte sie sich vor und flüsterte ihm ins Ohr: »Es tut mir wirklich leid, Euch beim Spiel zu unterbrechen, Botschafter, aber ich würde jetzt wirklich gern im Garten Spazierengehen! Ihr habt mir versprochen, mich zu begleiten. Darf ich Euch daran erinnern?«
Zuerst gab er sich etwas pikiert, sah dann hinunter auf die Karten in seiner Hand und wandte sich ihr erleichtert zu. »Natürlich, meine Liebe. Es ist mir ein Vergnügen.« Zu den anderen bemerkte er: »Ich fürchte, die Herren müssen mich entschuldigen. Die Pflicht ruft. Gräfin von Langen braucht einen Begleiter, und ich habe das Glück, an dieser Stelle erwünscht zu sein. Sicherlich habt Ihr dafür alle Verständnis.«
Die Herren lächelten zustimmend, nahmen seine schlechten Karten zurück und legten sie unter den Stapel. Der Botschafter erhob sich und bot Elissa seinen Arm, den sie liebenswürdig annahm. Als sie sich zum Gehen wandten, schaute sie sich noch einmal nach dem Colonel um, und seine Mundwinkel schienen etwas weicher zu werden. Vermutlich wußte er genau, warum sie das Spiel unterbrochen hatte. Sein Blick brachte seine Billigung zum Ausdruck, aber es lag noch etwas anderes darin.
Ob das etwa Eifersucht war? Dafür kannten sie einander nicht genug. Und doch hatte sie genau diesen Eindruck. Sei es, wie es sei. Elissas Herz tat einen Hüpfer, und ihr Mund wurde plötzlich trocken. Sie war dankbar, daß sie den Raum verlassen konnte.
Mit dem Botschafter schritt sie hinaus auf die Terrasse, stand kurz am schmiedeeisernen Geländer im tanzenden Licht der Fackeln, die hoch oben an den Wänden steckten.
»Meine Liebe, ich hätte nicht so lange spielen sollen. Es ist mir völlig entgangen, daß Euch langweilig war.« Er hielt noch sein Cognacglas in einer etwas unsicheren Hand, und sie sah, daß er betrunkener war als angenommen.
»Man kann es eigentlich nicht als langweilig bezeichnen, Sir William. Ich hatte nur einfach das Bedürfnis nach frischer Luft.« Als er sich noch einen Schluck genehmigte, nahm eine Idee, die ihr am früheren Abend durch den Kopf gegangen war, wieder Gestalt an. Sie tippte ihm mit dem Fächer auf die Schulter. »Genaugenommen dachte ich gerade ... der Abend ist noch jung, nicht wahr? Eigentlich
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