Bei Tag und Nacht
sein Blut scharlachrot über das nasse, graue Kopfsteinpflaster ergossen. Sie blinzelte, um die Tränen aus ihren Augen zu vertreiben.
Wenn sie an Karl dachte, schien es ein kleiner Preis zu sein, mit General Steigler ins Bett zu gehen, um den Schuldigen zu überführen. Aber womöglich war Steigler gar nicht dieser Mann. Sie rief sich in Erinnerung, daß drei Namen auf Karls Liste gestanden hatten. Inzwischen war sie ziemlich sicher, daß der Botschafter nichts damit zu tun hatte. Und Major Becker, der erwähnte Dritte, hielt sich im Augenblick nicht einmal in der Nähe von Wien auf.
Steigler war hier in Baden. Er hatte die Mittel - und die Möglichkeit -, ein extrem geschickter Spion zu sein; zwar hatte sie noch kein etwaiges Motiv entdeckt, dennoch schien er ihr verdächtig. Eine Durchsuchung seines Zimmers würde ihr vielleicht weiterhelfen, wenn sie einen Weg in die Villa des Kaisers fand, wo er wohnte.
Zum Beispiel während des Balles!
Der Gedanke war außerordentlich beunruhigend.
Es nieselte über Wien und den Ebenen östlich der Stadt, wo das britische Regiment lagerte. Selbst die Donau, die sonst kristallblau die geschwungenen Hügel durchschnitt, hatte sich in ein mattes Schlammbraun verwandelt. Adrian, der sich nicht um seine erdverkrusteten Stiefel kümmerte, schritt durchs Lager und grüßte nach links und rechts die Soldaten des Dritten Dragonerregiments.
Schließlich erreichte er sein Ziel, nahm den hohen Tschako mit dem Schild vom Kopf, klemmte ihn unter den Arm und betrat das Zelt, das etwas größer als die anderen war. General Ravenscroft, ein hochgewachsener Mann mit Schnurrbart und eisengrauem Haar, stand hinter einem Tisch inmitten des Inneren, wo verschiedene Karten vor ihm ausgebreitet lagen.
»Freut mich, Euch zu sehen, Colonel.«
»Danke, General!«
»Wie man mir berichtet, wart Ihr sehr brauchbar für die Sache in Baden. Das überrascht mich nicht, aber ich höre es trotzdem gern. Durch Eure Abstammung könnt Ihr einfach gut umgehen mit den Österreichern, und wir brauchen wirklich jede Hilfe.«
»Sie brauchen mich auch, General Ravenscroft?«
»Allerdings. Genau gesagt ist das sogar der Grund Eures Hierseins. Ich wollte Euch ins Bild setzen über die Lage, und zwar unter vier Augen. In letzter Zeit scheint es immer wieder undichte Stellen in unserem Informationsnetz gegeben zu haben. Soweit wir wissen, ist noch kein ernster Schaden angerichtet, aber doch ein recht beunruhigender. Ich würde wirklich sehr gern die undichte Stelle erfahren, aber bisher tappen wir im dunkeln.«
Adrian runzelte die Stirn. »Das gefällt mir nicht, General, vor allem, da uns Bonaparte so dicht auf den Fersen ist.«
»Genau.« Er nahm einen dünnen Stab zur Hand und beugte sich über die Karte. »Seht Euch das hier einmal an, Colonel.« Mit dem Stab deutete er auf eine Gegend nordwestlich von Wien. »Hier fangen die Truppen des Erzherzogs an sich zu sammeln.« Er deutete weiter nach Westen. »Von hier aus wird Bonaparte aufmarschieren. Wir sind nicht ganz sicher, wo er sich im Augenblick befindet, aber seine Armee rückt näher.«
»Wenn das so ist und der Erzherzog ihm entgegentreten will, werden sie sich wahrscheinlich irgendwo an der Donau begegnen.«
Der General nickte. »Wien ist Bonapartes Endziel.«
»Und wenn sich der Krieg in dieser Richtung weiterbewegt, wie lautet unsere Order?«
Der General verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Uns steht nur ein kleines Regiment zur Verfügung, da unsere Mission hier streng diplomatischer Natur ist. Offiziell werden wir Befehl haben, neutral zu bleiben. Andererseits ist es völlig klar, daß wir gebraucht werden, sollte Wien tatsächlich in Gefahr geraten; dann müssen wir die Stadt mit evakuieren.«
»Ich verstehe.« Er dachte daran, daß auch Elissa davon betroffen sein könnte und fühlte sich unbehaglich. Vielleicht konnte er sie dazu überreden, nach Hause zurückzureisen.
»Das ist der eine Grund, warum ich Euch hergebeten habe, Colonel. Wie Ihr wißt, kann alles ziemlich schnell gehen, wenn die Kriegspläne erst in die Tat umgesetzt werden. Es gibt eine ganze Menge wichtiger Leute in Baden. Sobald die endgültige Konfrontation bevorsteht, wird jemand, der gegen unser Bündnis ist, womöglich Zwietracht säen. Haltet die Augen auf, Colonel.« Er lächelte. »Und laßt die hübsche Gräfin, der Ihr den Hof macht, nicht in die Schußlinie geraten!«
Adrian räusperte sich. Ravenscroft schien, genau wie die Herzogin, immer über alles
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