Bei Tag und Nacht
Nacht. Durch lockere Wolken am Himmel schimmerte hier und da das Mondlicht, als Adrian ein Bein über das Fensterbrett von Steiglers Stadthaus schwang und sich langsam auf das Pflaster herunterließ. Die Rückseite des Gebäudes lag im Finstern, bis auf das Licht einer Lampe aus den Personalunterkünften im zweiten Stock.
Ganz in Schwarz gekleidet vom Halstuch bis zu den Stiefeln verschwand Adrian optisch völlig in der Dunkelheit. Seine Aufgabe war vollbracht, und er bewegte sich leise an der Wand des Hauses entlang, um zu seiner Kutsche zu gelangen, die einen halben Block weiter in einer Gasse wartete. Gerade erreichte er die Hausecke, als er gedämpfte Stimmen vernahm.
Adrian blieb stehen, drückte sich dichter an die Wand und ging auf Beobachtungsposten. Er sah zwei Personen, eine hochgewachsen und schlank, eine klein und schmal, beide in schwarze Umhänge gehüllt. Ein Knirschen ertönte, das leise Quietschen eines Schlosses, dachte Adrian, obwohl er nicht glaubte, daß der Mann einen Schlüssel benutzte. Dann verschwanden die beiden im Inneren.
Langsam schlich Adrian auf die Hintertür zu. Wer war das, warum brachen sie in Steiglers Haus ein? Gleichzeitig keimte in ihm ein Verdacht.
Das würde sie nicht wagen, dachte er. Nicht nach seiner
Warnung und ihrer letzten Begegnung mit dem General! Aber die Konturen der einen Gestalt paßten, und in seinem Herzen wußte er, daß sie doch dazu fähig war. Es gab nur wenig, was Elissa Tauber nicht wagen würde. Der Zorn raubte ihm die Besonnenheit. Hastig öffnete er die Hintertür und stieg die Treppe hinauf zu Steiglers Wohnung.
Er drückte sich die Wand entlang und schaute durch einen Spalt in der Tür. Dort durchsuchte ein großer, schlanker Mann mit geübter Erfahrung Schubladen und Truhen im Salon. Adrian ließ sich nicht beirren, sondern machte leise die Tür zum Schlafzimmer des Generals auf, glitt hinein und versteckte sich hinter dem Vorhang. Von da aus beobachtete er die kleinere Gestalt, die ihre Kapuze vom Kopf geschoben hatte, so daß goldenes Haar im schwachen Licht aufleuchtete.
Sie öffnete und schloß Schubladen, blätterte durch Steiglers Bücher, untersuchte die Papiere auf seinem Schreibtisch.
Genau das gleiche hatte Adrian vor einer Stunde getan.
Planmäßig und bestimmt ging sie zu Werke und kam dabei langsam näher zu ihm herüber. Als sie sich umdrehte, um die nächste Schublade aufzuziehen, trat er dicht hinter sie, legte einen Arm um ihre Taille und zog sie an sich. Als sie überrascht aufkreischen wollte, hatte er schon eine Hand auf ihrem Mund und beugte sich vor zu ihrem Ohr.
»Suchst du etwas, mein Engel?«
Beim Klang seiner Stimme wurde sie noch steifer, doch dann begann sie zu zappeln. Er nahm seine Hand von ihrem Mund, und das Entsetzen ihres Blicks war hellster Empörung gewichen.
»Was tust du hier?« zischte sie und wandte sich zu ihm um. »Du hast doch gesagt, du glaubst nicht, daß Steigler ein Spion ist.«
Er grinste. »Tue ich auch nicht. Aber es könnte ja sein, daß ich mich täusche.«
Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Dann mach dich lieber schleunigst an die Arbeit. Es würde sich nicht gut auf der Liste deiner militärischen Errungenschaften ausnehmen, wenn du als Dieb erwischt wirst.«
Vergnügt stellte er fest, daß er sich köstlicher amüsierte, als es dieser Lage angemessen war. »Ich habe mein Pensum schon erledigt. Und nichts gefunden, verdammt!«
»Auch im Arbeitszimmer? Vielleicht gibt es da ...«
»Jede Schublade, jedes Buch, jede Akte. Sollte das Siegel in seinem Besitz sein, hat er es bei sich.«
»Zur Hölle mit ihm«, murmelte Elissa, und Adrian grinste wieder.
»Komm schon, kleiner Schlingel. Ruf deinen Komplizen und geh’n wir!«
Enttäuscht seufzend gab sie sich geschlagen und ging zur Tür. Adrian blieb hinter ihr.
»Wer ist das, übrigens?« fragte er. »Noch ein armer Narr, den du mit deinem Charme herumgekriegt hast, dir zu dienen?«
Elissa sah ihn wütend an. »Er ist der Lakai der Herzogin, ein Mann ihres Vertrauens.«
»Der zufällig weiß, wie man Schlösser knackt.«
»Ja. Ich finde das sehr nützlich.« Sie gab ihrem Helfer ein Zeichen, der erschrak, als er Adrian in der Tür stehen sah. Angesichts der Ruhe seiner Auftraggeberin faßte er sich aber und kam mit ihnen.
Wenige Minuten später standen sie im Dunkeln hinter dem Haus. »Sag dem Mann, er soll Eure Kutsche nehmen und vorausfahren - wir haben einiges zu besprechen. Anschließend bringe ich dich selber nach
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