Bei Tag und Nacht
Elissa erblickte. »Ich denke, ich sollte nicht erstaunt sein - Euer Colonel hat mir in seiner Nachricht ein wenig von dem berichtet, was geschehen ist.« Sie legte die Hand an Elissas Kinn und drehte ihr Gesicht von einer Seite zur anderen. »Aber es hätte wohl auch schlimmer kommen können. Ein Glück, daß der Baron so schnell bei Euch war.« »Colonel Kingsland erstaunt mich wirklich!« räumte Elissa ein. Sosehr er sie auch aufgebracht hatte, konnte sie ihre Bewunderung nicht verhehlen. »Er ist der mutigste Mann, den ich je kennengelernt habe.«
»Ja .. . also, wir sind alle froh über seinen Einsatz.«
»Steigler dagegen hat nicht mal einen Anflug von Gewissen. Man sollte ihm Einhalt gebieten, Euer Gnaden.«
»Er dient der Regierung. Solange das noch so ist, genießt er mehr oder weniger Immunität. Konntet Ihr irgendwelche Beweise für den Falken bei ihm finden?«
Elissa schüttelte den Kopf. »Nein. Und der Colonel glaubt, daß er es nicht sein kann.«
Die Ringe an den Fingern der älteren Frau blitzten im Schein der Flammen. »Was meint Ihr?«
»Offengestanden bin ich mir nicht mehr sicher. Er könnte vom Charakter her sicher ein Verräter sein - das hat sein Verhalten gestern abend bewiesen - aber leider war ich nicht in seinem Zimmer der Wiener Hofburg .. .« In diesem Augenblick kam ihr mit einem Schlag eine Erleuchtung.
»Was denkt Ihr?« Kluge blaue Augen musterten sie.
»Vielleicht ist es noch nicht zu spät. Der Colonel sagt, es hätte erste Kämpfe zwischen dem Erzherzog und den Franzosen gegeben.«
»Leider mit unglücklichem Ausgang.«
»Da wird der General doch sicher einrücken müssen.«
»Er hat Wien schon verlassen.«
»Warum sollte ich nicht also sein Haus durchsuchen? Den Worten des Colonels entnehme ich, daß eine Art Siegel existiert, mit dem der Falke unterzeichnet. Und wenn Steigler dieses Siegel hat, könnte es irgendwo in seiner Wohnung sein.«
»Sehr unwahrscheinlich. In dem Falle, würde er es doch sicher bei sich tragen.«
»Stimmt, aber unter Umständen hat er es auch hiergelassen. Und die Chance, daß man mich jetzt erwischt, ist gering.«
»Wenn es Euch gelingt, hineinzukommen.«
Elissa biß sich auf die Lippen. »Das könnte allerdings ein Problem sein.«
Die Herzogin lehnte sich nachdenklich in ihrem Sessel zurück und äußerte zögernd: »Vielleicht kann ich da helfen. Mein Lakei Hans verfügt über eine ganze Reihe nützlicher Fähigkeiten. Seine Jugend hat er nicht in bester Gesellschaft verbracht. Er behauptet, es gebe kein Schloß, das er nicht aufkriegt.«
Erfreut klatschte Elissa in die Hände. »Oh, danke, Euer Gnaden, Ihr seid unglaublich!«
Die ältere Dame sah sie mit ungerührter Miene an. »Fragt Ihr Euch nicht, warum ich Euch ein so gefährliches Unterfangen gestatte ? Euer Plan ist schließlich kaum am Platze für eine junge Frau Eurer Position.«
»Ich nehme an, weil Ihr helfen wollt, einen Spion zu überführen, der Eurem Land schadet.«
»Das stimmt. Aber vor allem, weil Ihr etwas auf Euch nehmt, was wenige Damen auch nur in Erwägung ziehen würden -wahrhaftig ein Abenteuer! Früher habe ich immer davon geträumt, wie es wohl wäre, nicht von gesellschaftlichen Verpflichtungen gefesselt zu sein, fortzuziehen und mein Schicksal selbst zu bestimmen. Das war natürlich dumm und undenkbar im Lebenslauf einer Herzogin.«
Sie schaute ins Feuer, ihre Wangen röteten sich bei der Erinnerung. »Ach, den Zwängen der Gesellschaft zu entkommen -und sei es nur für eine Weile -, das Leben in ganzer Fülle zu erfahren! Das erfordert Mut, meine Liebe, und dafür bewundere ich Euch.« Sie betrachtete Elissa mit erhobenem Kinn. »Seht nur zu, daß Ihr Euren Mut mit Klugheit einsetzt - um mit heiler Haut davonzukommen.«
»Das verspreche ich, Euer Gnaden.«
»Also, was ist mit Steigler?«
»Er sagte mir, seine eigentliche Wohnung befinde sich in einem Stadthaus gegenüber der Karlskirche.«
»Ja, das weiß ich.«
»Dann sollte ich heute nacht dort auf die Suche gehen.«
»Ihr müßt vorsichtig sein. Ob er da ist oder nicht - in jedem Fall tut Ihr etwas Ungesetzliches.«
»Ich passe natürlich auf! Und wenn ich nichts finde, wird er wohl nicht der Verdächtige sein. Dann hefte ich mich als nächstes an Beckers Fersen.«
»Eins nach dem anderen«, winkte die Herzogin mit einer bremsenden Bewegung ihrer schmalen Hand ab. »Es wäre für uns alle besser, wenn sich mit Steigler alles klären würde.«
Leises Grillenzirpen erfüllte die stille
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