Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
ist. »Wo ist denn mein Grillhähnchen
gelandet? … Ah, da ist es ja.« Schimpfend trottet sie darauf zu und packt die Tüte,
dann macht sie Anstalten, wegzugehen. Maurice hält noch immer das Fahrrad fest.
Inzwischen sind einige Leute zu uns getreten. Sie helfen Maurice, das Rad zur Seite
zu stellen, und reichen Frau Schnatterbeck und mir die Hände, damit wir von der
Trasse hinunter auf den Bürgersteig treten.
Ein Mann
zieht sein Handy heraus. »Ich rufe den Notarzt.«
»Nää, ich
geh jetzt heim und guck mir alles an. De Arzt kann ich immer noch rufe. Außerdem
wird unser Hähnchen kalt.« Sie lässt sich nicht aufhalten, sondern reißt Maurice
mit einem bitterbösen Blick das Fahrrad aus der Hand und stapft, immer noch vor
sich hin fluchend, davon.
Ich begreife
nicht so ganz, was gerade geschehen ist. Ich verstehe nur, dass ich schon wieder
beinahe eine Person zu Tode gebracht habe, die mich am Telefon beleidigt hat. Das
kann doch kein Zufall mehr sein!
»Lucy, bei
dir alles in Ordnung?« Maurice legt eine Hand auf meinen Oberarm. Ich merke, dass
ich am ganzen Leib zittere und schaue Frau Schnatterbeck nach.
»Das hat
sie nicht besser verdient!«
Ich bin
mir nicht sicher, ob ich das sage oder Maurice. Ich sehe ihn an und sehe ihn doch
nicht. Habe ich das mit Absicht getan? Wusste mein Unterbewusstsein schon vor mir,
wer da in halsbrecherischem Tempo den Fußgängerweg entlanggesaust kam?
»Ich muss
zurückfahren und mich mit Frank treffen«, murmle ich.
Maurice
zuckt kurz zusammen, dann nickt er.
Wahrscheinlich
ist es keine gute Entscheidung, in meinem Zustand ins Auto zu steigen, aber ich
finde den Weg nach Saarlouis problemlos. Zu Hause suche ich Franks Karte aus meiner
Geldbörse heraus und wähle seine Handynummer.
»Kraus.«
»Frank?«
»Ja. Lucy,
bist du das?«
»Kannst
du zu mir kommen? Ich habe schon wieder beinahe jemanden umgebracht.«
Er stöhnt.
Eine irrwitzige Sekunde denke ich, dass ich das lieber in einer ganz anderen Situation
hören würde.
»Ich komme«,
raunt er.
Auch das
würde ich lieber in einer ganz anderen Situation hören.
Stunden später hat mein Frank mich
davon überzeugt, dass ich ganz normal bin. Wie süß von ihm, wo er doch der Kommissar
ist, der gegen mich ermittelt!
»Lucy, woher
sollten denn diese Störungen so plötzlich kommen? Nein, es gibt keinerlei Anzeichen,
dass in deinem Oberstübchen etwas nicht stimmt.«
Wir sitzen
uns gegenüber, er auf dem Zweisitzer und ich auf dem Sessel, und trinken eine Flasche
Wein zusammen. Das heißt, ich trinke, er nippt noch immer an seinem ersten Glas.
»Aber ich
bin froh, dass ich in dem Fall nicht auch noch ermitteln muss.«
Anscheinend
belastet ihn etwas, er wirkt so grüblerisch. Er konzentriert sich auf meine Füße,
die ich angezogen und gedankenverloren mit den Fingern meiner rechten Hand bearbeitet
habe, wie mir gerade bewusst wird.
»’tschuldige«,
murmle ich und nehme die Hand weg. Es ist nicht ganz normal, dass man seine Zehen
massiert, wenn andere Leute dabei sind, oder? Jedenfalls nicht, solange man sich
nicht im Freibad aufhält.
Er lächelt.
Seine Augen sind so dunkel! Sie scheinen tief in mich hineinzusehen. »Das stört
mich nicht, im Gegenteil. Ich mag Füße, und deine ganz besonders.«
Ich muss
so breit lächeln wie Garfield, wenn er Lasagne riecht. Ja, die Richtung, in die
sich unser Gespräch entwickelt, gefällt mir! »Wirklich?«
»Ja, sie
sind so … zierlich.« Er schluckt.
In meinem
Unterleib zündet spontan ein Feuerwerk.
»Weißt du,
was mir an dir gefällt?« Angstvoll warte ich auf seine Reaktion. Ob ich zu weit
gehe? Doch er beugt sich vor und beobachtet mich interessiert. Ich glaube, in seinem
Inneren sieht es ganz ähnlich aus wie in meinem.
»Nein. Was
denn?«
»Also, zuerst
mal deine Augen. Die sind einfach der Hammer. Und dann dein Grübchen, die Narbe
und dein Körper.« Ich halte den Mund. Bin ich bescheuert? Fehlt noch, dass ich anfange
zu sabbern. Wie alt bin ich eigentlich? 16?
Er lehnt
sich geschmeichelt zurück und legt eine Hand auf seinen Bauch.
Ächz, ist
er etwa ein kleiner Narziss, und ich habe es bloß nicht bemerkt? Wahrscheinlich
schleppt er mit seinem Hundeblick und dem Hammerbody eine Frau nach der anderen
ab. Und ich Idiotin bestärke ihn auch noch in seiner Eitelkeit. Würg.
»Danke,
das nehme ich als Kompliment. Ich war nicht immer schlank, musst du wissen.« Er
reibt sich den Bauch, und jetzt sieht das ganz anders aus. Dann grinst er mit
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