Beinah auf den ersten Blick: Roman (German Edition)
nie schlechter gefühlt. »Er ist nicht mein Geliebter, du kannst das nicht …«
»O bitte, du willst mir doch jetzt nicht ernsthaft erzählen, ich könne das nicht verstehen? Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, dabei zuzusehen! Meine Mutter hat entweder Männer betrogen oder wurde von Männern betrogen. Darum fand ich es so toll, dass du und mein Dad so glücklich zusammen schient. Ihr ward ein ordentlich verheiratetes Paar, das nichts von diesem üblen Zeig machte. Ihr habt einander vertraut, und ich hielt das für phantastisch. Tja, wie sehr ich doch danebenlag.« Georgias blaue Augen, die denen von Tom so nervenzermürbend ähnlich sahen, ließen Verachtung aufblitzen. »Denn du bist gar nicht so, nicht wahr? Du bist ganz genauso wie meine Mutter, hast Geheimnisse und lügst, wenn du nur den Mund aufmachst. Du betrügst meinen Dad hinter seinem Rücken. Und das ist einfach … widerlich .«
»Jetzt ist gut, hör auf.« Abbies Stimme hob sich vor Panik. »Hör sofort damit auf. Ich habe Tom nicht betrogen, und ich bin nicht widerlich.«
»Hallo? Ich habe es doch mit eigenen Ohren gehört … du und dein Chef habt eine Nacht zusammen verbracht!« Georgia war jetzt im Angriffsmodus. »War das im Bett, oder willst du mir erzählen, ihr zwei hättet die Nacht in einem Kanu gesessen?«
»Es ist nichts geschehen!«
Georgia wirkte angewidert. »Dad wird am Boden zerstört sein.«
O Gott. »Können wir nicht in die Küche gehen?« Wenn sie sich jetzt nicht setzte, würde sie umfallen. Abbie stolperte an Georgia vorbei. »Ich werde dir alles erklären und du wirst mir zuhören. Denn ich wollte nicht, dass das passiert, und es ist auch nicht meine Schuld.«
»Du klingst immer mehr wie meine Mum.«
Zehn Minuten später wusste Georgia alles. Und obwohl ihr Zorn etwas abebbte, war sie auch alles andere als begeistert. Offen gesagt, konnte Abbie ihr keinen Vorwurf machen. Sie war gezwungen gewesen, Dinge zu erklären, mit denen sich beide nicht wohlfühlten. Es hatte einen Kuss gegeben, ja. In einem Doppelbett, ja. Aber keinen Sex. O Gott, überhaupt, absolut gar keinen Sex. Also war es doch eigentlich kein wirklicher körperlicher Betrug.
Allerdings schien Georgia davon nicht ganz so überzeugt. Und sie wirkte zutiefst angewidert, als ob sie gezwungen wäre, eine entsetzliche Szene in hochaufgelöster Nahaufnahme beobachten zu müssen.
»Also gut, wenn du von der Arbeit nach Hause kommen und Dad oben im Bett mit einer anderen Frau finden würdest, dann wäre das für dich völlig in Ordnung?«
»Nein, nein, natürlich nicht. Aber es ist nur passiert, weil ich dachte, Tom sei mir untreu gewesen. Ich war verzweifelt. Und ich hätte nie und nimmer von mir aus Kontakt zu Des aufgenommen.« Abbie sprach mit Nachdruck. Wie konnte sie Georgia nur dazu bringen, ihr zu glauben? »Des rief rein zufällig an … und ich war in einem solch desolaten Zustand, dass er vorbeikam. Aber ich habe Tom nicht betrogen. Und Tom muss nicht erfahren, was in jener Nacht geschah. Ich liebe ihn. Mehr als alles andere. Und er liebt mich. Es würde ihm das Herz brechen.« Ihre Finger gruben sich in die Handflächen. »Es ist am besten, wenn du es ihm nicht sagst.«
Georgia zwirbelte eine Haarsträhne um ihren Daumen, zog sie eng wie eine Henkersschlinge, dann ließ sie die Strähne wieder los. Sie betrachtete Abbie einige Sekunden schweigend, dann ergriff sie wieder das Wort.
»Ich hoffe sehr, dass du mir die Wahrheit sagst.«
»Das tue ich.« Abbie konnte kaum atmen. Sie nickte, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich wollte nie, dass es so kommt.«
»Was gedenkst du wegen deines Chefs zu tun?«
»Nichts. Du hast doch gehört, was ich ihm vorhin gesagt habe. Des weiß, dass ich kein Interesse an ihm habe. Er wird darüber hinwegkommen.« Sie hoffte nur, dass Des diskret sein würde.
Georgia sah auf den Fußboden. Schließlich blickte sie wieder auf. »Na schön, ich werde Dad nichts sagen.«
Ein Kloß machte sich in Abbies Hals breit. »Gut.« Gut war die Untertreibung des Jahres. »Danke«, fügte sie noch hinzu, obwohl sie wusste, dass Georgia es Tom zuliebe tat und nicht für sie.
Georgias Danke-mir-nicht-Schulterzucken erinnerte entnervend an die Gestik ihres Vaters. »Jedenfalls muss ich jetzt los. Ich habe viel zu tun.« Immer noch die Schlüssel zu ihrem Transporter umklammernd, ging sie zur Tür.
»Wir sehen uns später.« Abbie entdeckte den mit Kondenswasser überzogenen Milchkarton neben dem Wasserkocher und rief
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