Beiss noch einmal mit Gefuehl
ein Abschiedsgeschenk gewesen, eine Art Trostpreis. Mir persönlich wäre ein Riesenpaket Rice-a-Roni lieber gewesen.
Ich atmete tief durch und versuchte, an etwas anderes zu denken, doch es war unmöglich. Halloween war einfach allgegenwärtig. Selbst wenn ich meine Augen von den unzähligen Heuhaufen und anderen Dekorationen abwandte, so roch es doch überall nach faulen Blättern und Holzfeuern.
Die Bücherei in der Monroe Street war in einem schlichten Betonkasten am Ende einer Straße mit putzigen kleinen Läden untergebracht. Wilder Wein, dessen Blätter der Herbst bronzen gefärbt hatte, rankte sich daran hoch. Aus dem weißen Kies vor dem Gebäude ragten ein paar mickerige, kränkliche Büsche. Ein Schild an der Straßenecke wies das Haus als Leihbücherei aus.
Ich sah mich suchend um und versuchte festzustellen, ob Dominguez schon da war, doch er hatte sein Auto natürlich nicht so abgestellt, dass man es auf Anhieb entdeckte. Da sich jedoch auch keine Scharfschützen auf den Dächern zu verstecken schienen, straffte ich meine schmerzenden Schultern und ging den schmalen Weg zum Eingang hoch.
In der Bücherei saßen verkleidete Kinder im Halbkreis vor einer Frau, die ihnen eine Geschichte über Mäuse vorlas, die ein Kostümfest feierten. Dominguez lehnte ein Stück weiter hinten an einem Fenstersims und blätterte lustlos in einem Kinderbuch. Als er mich sah, winkte er mir, was wohl weniger ein Gruß sein sollte als vielmehr eine Aufforderung, zu ihm herüberzukommen.
Ich hatte das Treffen zwar selbst vorgeschlagen, aber als ich nun an den kleinen Piraten, Clowns, Power Rangern und Landstreichern vorbeiging, ließ ich mir Zeit.
Es war der Lage nicht gerade zuträglich, dass Dominguez inmitten der kleinen Möbel in der Kinderecke wie eine Art gut gekleideter Schläger aussah - vor allem wegen seines Gipses und der Schramme an seiner Wange. Mit seinem dunklen Anzug und seiner noch düstereren Miene hob er sich deutlich von den leger gekleideten, nicht berufstätigen Müttern und Vätern ab, die im Schneidersitz auf dem Boden hockten.
Ich setzte mich zu Dominguez in die Fensternische. Die Scheibe in meinem Rücken fühlte sich eiskalt an.
Die Vorleserin fing ein neues Buch über eine freundliche, liebe Hexe an. Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie es mich schauderte.
Dominguez beugte sich zu mir vor und fragte leise: „Wer ist Lilith eigentlich?“
„Eine sehr mächtige dunkle Göttin“, entgegnete ich. „Man nennt sie auch Königin der Dämonen oder Mutter des Bösen.“
„Ach ja! Adams erste Frau, die aus dem Garten Eden vertrieben wurde, weil sie Gleichberechtigung forderte?“ Bevor ich antworten konnte, fuhr er fort: „Sie meinen, der ganze
Scheiß ist wahr? Sie existiert wirklich? Herrgott noch mal, ich sollte wohl wieder regelmäßig in die Kirche gehen!“
Es lag wohl an seiner Ausdrucksweise, dass sich eine Mutter umdrehte und ihn missbilligend ansah.
Mich überkam eine große Erleichterung. „Dann glauben Sie mir also?“
Dominguez sah mich von der Seite an. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich davon halten soll.“
Ich lehnte den Kopf gegen das Fenster. Ein kalter Luftzug streifte meinen Nacken. „Aber Sie haben SIE gespürt, nicht wahr? Sie wussten, dass ich es nicht war.“
„Ja“, sagte er. Er war nicht rasiert, und mit den dunklen Stoppeln an seinem Kinn wirkte er irgendwie noch zwielichtiger. „Aber jetzt stecke ich wirklich in einem Riesendilemma, Miss Lacey ...“
„Garnet“, warf ich ein.
„Ich hatte Sie schon von der Verdächtigenliste gestrichen, weil unser Profiler und die Leute im Labor einhellig erklärt haben, dass Sie auf keinen Fall die Kraft haben, sechs durchtrainierte Paramilitärs umzubringen. Und dann knack!“ Er hielt seinen Gipsarm hoch.
Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte. Ich war nicht tatverdächtig gewesen, bis ich versucht hatte, ihn von meiner Unschuld zu überzeugen, indem ich Lilith zum Vorschein gebracht hatte? Hätte ich die Sache noch mehr vermasseln können? Trotzdem machte es mir Mut, dass Dominguez die Mörder des Vatikans „durchtrainierte Paramilitärs“ genannt hatte. Das bedeutete, dass das FBI hinlänglich über die Eustachius-Kongregation informiert war. Vielleicht verstand Dominguez dann auch, dass ich die Göttin seinerzeit aus Angst um mein Leben herbeigerufen hatte.
„Jedenfalls“, fuhr er fort, „sieht es jetzt so aus, dass Sie ein Motiv, die Gelegenheit und die Fähigkeit zu diesen
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