Bekehrung: Ein Eifel-Krimi (Eifelkrimis) (German Edition)
vor Claires Behandlung noch was in der Stadt zu erledigen haben. Ich lasse mich im Eingangsbereich des Krankenhauses nieder und warte.
Viel Geduld bringe ich nicht auf. Nach einer halben Stunde steige ich wieder in meinen Wagen und fahre zurück nach Atzerath. Ein unbestimmbares Gefühl sagt mir, dass ich dort die Antworten auf meine Fragen suchen muss.
In Atzerath hat schließlich alles begonnen.
Die kleine Babette Schröder hat hier mit ansehen müssen, wie ihr Elternhaus in Flammen aufging und ihre Familie ausgelöscht wurde. Danach hat Pastor Jean-Marie Lambert das verwaiste Mädchen bei sich aufgenommen. Wie unansehnlich Babette damals gewesen ist, habe ich auf den Fotos ja selbst gesehen. Ist es da wirklich glaubhaft, dass sich der ansonsten so disziplinierte Pfarrer an ihr vergangen hat? Könnte es nicht viel eher so sein, dass Babette in pubertärer Liebe zu Lambert entbrannt ist, sich ihm offenbart, er sie daraufhin zurückgewiesen und dann weit fort zu fernen Verwandten geschickt hat?
Ich merke selbst, wie ich mich in den vergangenen Stunden immer mehr von der mir lieb gewordenen Vorstellung verabschiede, Barbara Gordon sei das eigentliche Opfer gewesen; eine Frau, der großes Unrecht angetan worden ist, eine Rächerin aus edlen Motiven.
Dazu passt nichts von dem, was ich bisher über sie erfahren habe. Unabhängig voneinander haben Claire und David diese Frau als unnahbare Strippenzieherin geschildert, als Manipulatorin, die nicht von Emotionen, sondern ausschließlich von ihrer Macht-Mission geleitet wird. Die ihren Jüngern nicht gestattete, über die Vergangenheit zu reden, weil das nicht zielführend sei; die es irgendwie hinkriegte, dass selbst kluge Männer den Quatsch glaubten, den ihr Ehemann in seinen Fantasybüchern proklamiert hatte.
Christine Lambert hat Babette als hochbegabtes Kind geschildert, als eine verschlossene Einzelgängerin. So ganz radikal ändert sich das Wesen eines Menschen im Laufe seines Lebens nicht. Wieso sollte also die zu Barbara Gordon mutierte Babette Schröder als intelligenter Sonderling plötzlich darauf erpicht sein, andere Menschen von sich abhängig zu machen; sie in einen geistigen Dämmerzustand zu versetzen, sie zu zombifizieren ? So jemand würde sich doch eher allein von der Welt abschotten, oder nicht?
Halt! Die Rolle als Außenseiterin hatte sie nach der Eheschließung mit und der Verschönerung durch Hamish Gordon schließlich abgelegt. In der Londoner Klatschpresse war sie jahrelang the talk of town gewesen. Das einstige Mauerblümchen war zur stolzen Rose geworden, zur Party-Queen. Da muss der Umzug in die schottische Einsamkeit bitter für die umschwärmte Frau gewesen sein. Ihr Durst nach Anerkennung war noch längst nicht gestillt. Doch dann eröffneten ihr Sir Hamishs Werke ein neues und viel spannenderes Betätigungsfeld. Eines, in das sie nicht nur ihr mehrfach verschönertes Gesicht, sondern vor allem ihren Kopf einbringen konnte. Um das Unmögliche durchzusetzen , wie Volker Maraite gesagt haben soll.
Je länger ich darüber nachdenke, desto glaubhafter erscheint mir, dass es nicht Pastor Lambert war, der den alten Kontakt reaktiviert hat. Die einstige Babette Schröder könnte selbst Wert darauf gelegt haben, ihrem früheren Mentor vorzuführen, wie schön, reich, philosophisch gebildet und unabhängig sie geworden ist.
Vielleicht steckte die erste Zurückweisung eines Mannes noch wie ein Stachel in ihrem Herzen; vielleicht war die Liebe zu Jean-Marie Lambert das einzige Gefühl, das sie sich jemals erlaubt hat – oder schlimmer noch: zu dem sie jemals fähig gewesen ist. Möglicherweise ist der Gedanke, sich an ihm zu rächen, die treibende Kraft ihres Lebens gewesen.
Allerdings erscheint mir unwahrscheinlich, dass sie mit Jean-Marie tatsächlich das Bett geteilt haben soll, wie David andeutete. Ich glaube eher, dass sie alles darangesetzt haben wird, ihn um ein Schäferstündchen betteln zu sehen. Damit sie ihn dann ihrerseits kalt zurückweisen konnte. Aber würde ein solch banaler Triumph dieser unversöhnlichen Frau wirklich genügen? Wohl kaum.
Es muss ihr darum gegangen sein, den Mann, der ihr Glaube und Gehorsam nahegebracht hat, mit seinen eigenen Waffen in die Abhängigkeit zu zwingen, ihn willfährig und ihr untertan zu machen. Sie zielte darauf ab, den einzigen Menschen, der sie je als schwaches Geschöpf erlebt hat, zu erniedrigen und vernichtend zu schlagen. Seine Persönlichkeit so auszulöschen, wie es Hamish Gordon mit
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