Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
Wären Sie dazu fähig, um einem Freund aus der Not zu helfen? Sie haben mir gesagt, Sie seien nicht reiselustig. Aber geringe Reiselust, wie leicht fällt die ins Gewicht gegen meinen Horror, Paris zu verlassen! Sie haben mir auch gesagt, ja wir sind übereingekommen, was ich meinen Eltern versprochen, das nähme keiner mir ab. Wie, wenn Sie es mir abnähmen?«
»Mir scheint, lieber Marquis, Sie verlieren sich im Phantastischen.«
»Warum? Und warum sprechen Sie vom Phantastischen wie von einer Ihnen vollkommen fremden Sphäre? Es ist doch mit Ihnen etwas Besonderes, Kroull! Ich nannte Ihre Besonderheit intrigierend, ich nannte sie schließlich sogar geheimnisvoll. Wenn ich dafür ›phantastisch‹ gesagt hätte, – könnten Sie mir böse sein?« »Nein doch, da Sie es nicht böse meinen.«
»Nichts weniger als das! Und darum können Sie auch nicht böse darüber sein, daß Ihre Person mich auf diesen Gedanken gebracht hat, – daß während dieser unserer Begegnung meine Wahl – meine sehr wählerische Wahl! – auf Sie gefallen ist!«
»Auf mich als auf denjenigen, der draußen Ihren Namen führen, Sie darstellen, in den Augen der Leute Sie sein soll, der Sohn Ihrer Eltern, nicht nur von der Familie, sondern Sie selbst? Haben Sie sich das überlegt, wie es überlegt zu werden verdient?«
»Wo ich wirklich bin, bleibe ich ja, der ich bin.«
»Aber in der Welt draußen sind Sie ein anderer, nämlich ich. Man sieht Sie in mir. Sie treten mir Ihre Person ab für die Augen der Welt. ›Wo ich wirklich bin‹, sagen Sie. Aber wo wären Sie wirklich? Würde das nicht etwas ungewiß, wie für mich so für Sie? Und wenn diese Ungewißheit mir recht sein könnte, wäre sie es auch Ihnen? Wäre es Ihnen nicht unbehaglich, nur sehr lokal Sie selbst zu sein, in der übrigen Welt aber, also überwiegend, als ich, durch mich, in mir zu existieren?«
»Nein, Kroull«, sagte er mit Wärme und reichte mir über den Tisch hin die Hand. »Es wäre mir nicht – Sie wären mir nicht unbehaglich. Für Louis Venosta wäre es nicht so übel, wenn Sie ihm Ihre Person abträten und er in Ihrer Gestalt herumginge, wenn also sein Name mit Ihrer Gestalt verbunden wäre, wie es ja nun, falls es Ihnen recht ist, draußen der Fall sein soll. Ich habe den dunklen Verdacht, daß es auch anderen Leuten gar nicht mißfiele, wenn diese Verbindung von Natur bestände. Die müssen vorliebnehmen mit der Wirklichkeit, deren Schwanken mir wenig Sorge macht. Denn wirklich bin ich dort, wo ich bei Zaza bin. Sie aber sind mir recht als Louis Venosta anderwärts. Mit dem größten Vergnügen erscheine ich den Leuten als Sie. Sie sind hier und dort ein patenter Kerl, in beiderlei Gestalt, als Gentleman wie als Commis de salle. Sie haben Manieren, wie ich sie manchem meiner Standesgenossen gönnen würde. Sie sprechen Sprachen, und wenn die Rede auf Mythologie kommt, was fast nie geschieht, so reichen Sie mit Hermes vollkommen aus. Mehr verlangt kein Mensch von einem Edelmann, – sogar kann man sagen, daß Sie als Bürgerlicher zu mehr verpflichtet wären. Sie werden diese Erleichterung bei Ihren Entschlüssen in Anschlag bringen. Und also: Sie sind einverstanden? Sie werden mir diesen großen Freundesdienst erweisen?« »Sind Sie sich klar darüber«, sagte ich, »lieber Marquis, daß wir uns bis jetzt in den luftigsten Räumen bewegen und auf nichts Gegenständliches, auf keine der hundert Schwierigkeiten, mit denen zu rechnen wäre, überhaupt schon zu sprechen gekommen sind?«
»Sie haben recht«, antwortete er. »Sie tun vor allem recht, mich zu erinnern, daß ich noch einmal telephonieren muß. Ich muß Zaza erklären, daß ich so bald nicht kommen kann, weil ich in einer Unterredung begriffen bin, bei der unser Glück auf dem Spiele steht. Entschuldigen Sie mich!«
Und er ging wieder – um länger auszubleiben als das vorige Mal. Über Paris war die Dunkelheit eingefallen, und seit längerem schon lag die Dachterrasse im weißen Licht ihrer Bogenlampen. Sie hatte sich vollends geleert um diese Stunde und würde sich wohl erst nach Schluß der Teater wieder beleben. In meiner Tasche fühlte ich mein Opernbillett verfallen – ohne dem stillen Vorgang, der mir sonst schmerzlich gewesen wäre, viel Beachtung zu schenken. In meinem Kopfe tummelten sich die Gedanken, überwacht, so darf ich sagen, von der Vernunft, die sie, wenn auch mit Mühe, zur Bedachtsamkeit anhielt und ihnen nicht gestattete, in Rausch aufzugehen.
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