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Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Gilvarry
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es zwischen uns steif oder förmlich zuging.
    »Siehst du, Boy, alles nur eine Frage des richtigen Ansporns. Also, fünfhundert obendrauf plus Auslagen, wenn du fristgerecht lieferst.«
    Als ich wieder hineinging, stand Olya in dem schwarzen Organzakleid vor dem Spiegel und trug Lippenstift auf. Mandarinenfarbenen. Immer, wenn sie sich langweilte, trug sie noch mehr Make-up auf.
    »Nett, dein Onkel«, sagte sie.
    »Er ist nicht mein Onkel. Oh mein Gott, Olya, was hab ich bloß gemacht?«
    »Egal was, es ist bestimmt nicht so schlimm, wie du’s dir ausmalst. Du bist ein ängstlicher Mensch, Boy. Genau wie meine Mutter. Die alte Ziege. Sorgen hier, Gejammer da.«
    »Ich bin so am Arsch. Wo sind meine Zigaretten?«
    »Du rauchst doch gar nicht.«
    »Doch, wenn ich gestresst bin, schon.«
    »Hier, nimm meine.« Sie warf mir eine Schachtel Kools zu und widmete sich dann wieder ihren Lippen.
    Meine erste Lektion als Unternehmer in Amerika: Lerne, mit deinen Entscheidungen zu leben.
    »Olya, ich kann heute nicht mitkommen zu der Party. Ich muss arbeiten.«
    »Kann ich dann das hier anziehen?« Sie drehte sich zu mir um. »Nur für ein paar Stunden.«
    »Bringst du es mir auch unversehrt zurück?«
    »Was heißt das, ›unversehrt‹?«
    »Ist egal. Pass einfach auf, ja?«
    »Unversehrt.« Sie übte das Wort im Spiegel und zog einen Schmollmund.
    Ich öffnete die obere Hälfte des Fensters, zog an der Zigarette und atmete den Rauch tief ein. Die Klimaanlage war an, und meine Haarfollikel standen aufrecht. Ich aschte zum Fenster hinaus, aber die Asche flog direkt wieder herein. Olya trug noch mehr Schminke auf. Lidschatten, Mascara, Rouge.Ein Wagen, aus dem Gangsta-Rap in neuer Rekordlautstärke dröhnte, fuhr vorbei und löste die Alarmanlagen aller Autos im Umkreis von zwei Blocks aus. Die Risse in meinen Wänden verzweigten sich und blühten auf. Diese Aufmerksamkeit für jedes Detail war ein Signal für mich, dass ich gerade dabei war, eine kleine Panikattacke zu bekommen. Ich setzte mich aufs Bett. Ganz ruhig, sagte ich mir, und das Wummern des Basses verhallte in Richtung East Williamsburg. Ich konzentrierte mich auf mein Pranayama 23 . Ein Anzug in drei Tagen mochte zwar eine schreckliche Schinderei sein, aber ich hätte nicht zugesagt, wenn es unmöglich wäre. Ganz bestimmt wusste ich tief in meinem Inneren, dass ich das schaffen konnte. Dass ich es schaffen würde . Und genau mit diesem gesunden Optimismus ging ich später an jenem Tag ins Garment District. Mit anderen Worten, ich nutzte den Stress zu meinem Vorteil, spannte ihn vor meinen Karren wie damals an der Modeschule. Erstaunlich, welche Schlachten man in sich austrägt. Eine permanente Niederschlagung von Zweifelsaufständen. Man selbst ist sich der schlimmste Feind, nicht wahr?
    Die nächsten drei Tage zeichnete ich neue Entwürfe, schnitt den Stoff zu und nähte bis in die frühen Morgenstunden. War eine Naht nicht gut genug, trennte ich sie wieder auf. Ich machte alles so, wie ich es gelernt hatte, dann warf ich es weg – Hosen, Ärmel, Rumpf – und brachte mir bei, wie es wirklich ging. Wenn ich glaubte, ich wäre fertig, fand ich irgendeinen Fehler, eine Verbindung, die keinen Sinn ergab, und zwang mich, den gesamten Aufbau noch einmal zu überdenken; ich würde die Lösung in der Form finden. Design war ein Puzzle, aber es hatte eine eigene Formel, und war die erst einmal geknackt, erlangte das Kleidungsstück Einfachheit. Seine Schönheit und Perfektion traten klar hervor. Sogar bei einem Anzug.
    Und tatsächlich, ich bekam den Anzug pünktlich fertig. Ich ackerte drei Tage und drei Nächte, aber ich schaffte es! Und es fühlte sich auch durchaus nicht schlecht an, meinen Teil der Wette eingelöst zu haben. Ich wollte beweisen, dass ich es in Amerika allein schaffen konnte, und dieser erste Anzug war ein Test. Egal, wie viel Talent man zu haben glaubt, und egal, wie fleißig man in der Universitätsseifenblase studiert hat, auf dem freien Markt in der realen Welt liegt die Latte sehr hoch. Man hat jedes Recht, an seinen Fähigkeiten zu zweifeln. In Wahrheit ist es der Zweifel, der Wunder hervorbringt. Ich hätte meiner ersten Kollektion den Namen Zweifel geben sollen. Der Zweifel war es, der mich schließlich ins W -Magazin brachte. Der Zweifel ebnete mir den Weg ins Zelt. 24 Eine seltsame Sache, dieser Zweifel. Er ist zum Scheitern bestimmt. Sein natürliches Schicksal ist das Überwundenwerden, und zwar von allen möglichen Kräften – Glaube,

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