Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
düsteren Tragödie …« Aber kein Hinweis auf das, was so tragisch daran ist. Seit Andrew Kuhnanans 68 Mordserie, die mit dem tragischen Tod von Gianni Versace endete (und glücklicherweise auch mit einem Kuhnanan weniger, der sich selbst die Ehre erwies), hat nicht mehr so eine dunkle Wolke über der Branche gehangen, und trotzdem bin ich schon vergessen.
Auf jeden Fall war mir nach diesem traumatischen Erlebnis die Lust auf die Vogue vergangen. Ich blätterte nur meinem Special Agent zuliebe darin herum, weil er sie mir doch extra mitgebracht hatte. Nichts darin hatte noch irgendeine Bedeutung für mein Leben. Ich merke langsam, dass mir meine Karriere, meine Freunde, meine Affären und jeder einzelne Aspekt meiner so detailversessen beschriebenen Aufzeichnungen mit der Zeit immer unwichtiger werden. Als könnte ich sie zurücklassen, nachdem ich sie mir von der Seele geschrieben habe.
Habe ich wirklich etwas unterdrückt, wie Spyro vermutet? Etwas so Schreckliches, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann?
Nachdem ich eine Weile so getan hatte, als würde mich die Zeitschrift interessieren, legte ich sie weg und aß die restlichen Donuts.
Spyro las sich mit beständiger Entschlossenheit durch die Blöcke und blätterte dabei schneller von einem Blatt zum nächsten, als ich erwartet hatte. So etwas sollte niemand durchmachen müssen – seinem wichtigsten Kritiker gegenübersitzen, während der die eigene Arbeit begutachtet. Und zwar mein Leben, die ganze Wahrheit, zu Papier gebracht, damit er darüber urteilt. (Der Brief des Präsidenten hat mich daran erinnert, dass tatsächlich mein Leben zur Verhandlung steht. Das vergesse ich manchmal. Eigentlich unvorstellbar, dass man für sein Leben vor Gericht gestellt wird. Wie soll man das überhaupt begreifen?) Vielleicht kann ich diese Erfahrung, dass mein Bekenntnis vor meinen Augen gelesen wird, mit der einer Fashion-Show vergleichen, bei der Redakteure und Einkäufer sich beim Anschauen der Kollektion Notizen machen. Aber als Designer kann man wenigstens backstage bleiben und muss sich nicht persönlich den forschenden Blicken stellen. Spyro blieb allerdings wie immer völlig professionell und veränderte nur selten sein ernstes Lesegesicht: gerunzelte Stirn, gespitzte Lippen usw. Ich konnte mich nur entspannen, wenn er kurz geräuschvoll durch die Nase ausatmete, da ich merkte, dass er gerade ein Lachen unterdrückte. Er fand irgendetwas in meinem Bekenntnis lustig. Das beruhigte mich. Dann las er wieder weiter.
Wo ich am 25. Mai 2006 gewesen sei, wollte Spyro wissen, als er die letzte Seite des Bekenntnisses umblätterte.
Die Bedeutung des Datums war mir nicht klar, aber ich wusste, dass wir uns der Überwältigenden Heimsuchung näherten.
»An dem Tag wurde Ahmed festgenommen«, erklärte er. »Wissen Sie noch, wo Sie waren?«
»Nein, tut mir leid«, erwiderte ich.
»Vielleicht kann ich Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen: Sie waren im Hotel Gansevoort. Dort trafen Sie sich mit Habib Naseer, Ihnen bekannt als Hajji.«
Zum ersten Mal ließ Spyro durchblicken, dass er viel mehr wusste, als er anfangs verraten hatte. Mir fiel wieder ein, von welchem Tag er sprach. Ja, ich konnte mich daran erinnern. Es war Fleet Week. Die Stadt war voller gutaussehender Matrosen in gebügelten, weißen Uniformen, echte Männer auf Landgang, die die 7 th und 8 th Avenue entlangspazierten und in den widerlichen Bars der Bleecker Street nach Joanie und Chachi suchten. 69 In der Zeit stand ich extrem unter Druck. Ich versuchte immer noch, die Überseeproduktion für die Bestellung von Barneys auf die Beine zu stellen. Mein Streit mit Ahmed fast einen Monat zuvor hatte überhaupt nichts gebracht. Seitdem hatte ich nichts mehr von ihm gehört. Ich war also ziemlich schlecht gelaunt, aber dankbar für die Ablenkung, die die jährliche New Yorker Matrosenschwemme mit sich brachte.
Die Fleet Week erinnerte mich in vieler Hinsicht an das Manila meiner Jugend, als meine Mutter mich oft bei Erledigungen nach Malate mitnahm. Aus dem Fenster unseres Mazdas sah ich große, gutaussehende Amerikaner in khakifarbenen Offiziersuniformen, die mit Einkaufstüten durch die Stadt spazierten und an den Straßenecken der Taft Avenue mit den Studentinnen flirteten. Seltsamerweise wünschte ich mir damals, eins dieser Mädchen zu sein, die die Aufmerksamkeit der Amerikaner genossen und verschämt kicherten. Für einen jungen Pinoy war die Aufmerksamkeit von Amerikanern höchst
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