Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
erstrebenswert.
Ich war am Abend des 25. Mai tatsächlich im Hotel Gansevoort (das Datum glaube ich meinem Special Agent mal), aber nicht, um mich mit dem Mann zu treffen, den ich als Hajji kannte. Ich war wegen einer Party da, dem Launch von Philipp Tangs neuer Schuh-Kollektion, Size 2.0. Vorher hatte ich mit Vivienne Cho im Spotted Pig zu Abend Austern geschlürft und glasierten Schweinebauch gegessen. Nichts Erwähnenswertes. Wir spazierten auf dem Weg zum Hotel Gansevoort den West Side Highway entlang und dann hinaus auf einen der Piers, wo wir uns die Schiffe vor Anker im Hudson River ansahen, die riesigen Kolosse, die die Helden hin- und hertransportierten, die im Krieg gegen die Irakis kämpften.
Vivienne beobachtete die Matrosen auf einem anderen Pier in der Ferne und sagte: »Ich glaube nicht, dass ich einen Mann in Uniform lieben könnte.«
»Ich auch nicht.«
»Im Ernst. Einen, der in den Krieg muss. Einen Soldaten. Die Angst würde mich ganz krank machen.«
»Du kämst aber auch nicht mit einem klar, der die ganze Zeit da ist.«
»Das habe ich auch schon gemerkt. Aber immerhin würde ich jeden Tag Sex kriegen.«
»Das klingt so nach Routine. Sex muss spontan sein, das Verlangen, das einen übermannt, und kein regelmäßiger Termin im Blackberry. Stell dir mal den Sex vor, den du mit einem Matrosen auf Heimaturlaub hättest.«
»Flitterwochen-Sex. Einsatz für die gute Sache. Ich würde meinem Vaterland einen Ehrendienst erweisen.«
»Glorreicher Patriotismus. Du hast mich inspiriert. Ich suche mir heute Abend eine Matrosin.«
»Sind doch alles Lesben.«
»Ach, Quatsch! Ich wäre genau der Richtige für so eine. Ich würde es genießen, dass sie die meiste Zeit weg ist, und ihr jede Woche schreiben, auch zweimal, wenn mir danach ist. Und wenn sie zurückkäme, würde ich den Boden unter ihren Füßen küssen. So könnte bei mir eine Beziehung funktionieren: Wenn ich regelmäßig sechs Monate warten müsste.«
»Ein Matrose als Freund hätte wirklich viele Vorteile. Da! Jetzt kommt unsere Chance.« Vivienne zeigte auf zwei Besatzungsmitglieder, die auf dem Pier einen Abendspaziergang machten. Ein Mann und eine Frau, zeitlos schön, als hätte Ralph Lauren persönlich sie hergezaubert. »Los, wir laden sie zu Philips Party ein«, sagte sie.
»Er hat sich ja auch die Fleet Week als Motto ausgesucht. Die beiden passen genau dazu.«
»Perfekt.«
Vivienne ging auf die beiden Offiziere zu und lud sie ein, aber sie lehnten ab.
»Sie sagen, sie dürfen sich nicht zu weit vom Schiff entfernen.« Sie zeigte hinter sich auf die USS Katherine Hepburn . 70 »Wie süß!«
»Hast du erzählt, dass die Getränke kostenlos sind? Hast du die anwesenden Models beider Geschlechter erwähnt?«
»Die zwei sind wohl mit dem Meer verheiratet.«
Warum werde ich am Meer bloß immer so sentimental? Als ich an der Kante des Piers stand und mir die riesigen, fast weihnachtlich erleuchteten Schiffe ansah, dachte ich wieder an meinen ersten Tag in Amerika, als die Freiheitsstatue verschleiert Trauer trug. Dieses Bild wird mein Gedächtnis niemals aufgeben, was immer auch hier im Niemandsland geschieht. An dem Tag hatte ich mich, neben all den gemischten Gefühlen, die sich in meiner Leistengegend regten, wie ein freier Mann gefühlt. Dass ich einmal wirklich und uneingeschränkt frei war, kann ich mir aus der Enge meiner Zelle heraus kaum vorstellen. Doch an diesem ersten Tag fühlte ich sie wirklich – die echte Freiheit. Die Freiheit, die Menschen aus aller Welt in Amerika suchen. Wahre Freiheit ist nämlich etwas Greifbares – ein amerikanisches Geburtsrecht –, aber auch etwas, das einem ohne Ankündigung genommen werden kann.
Gegen neun kamen Vivienne und ich bei Philips Party auf dem Dach des Hotel Gansevoort an. Models in engen weißen Marineuniformen stolzierten mit Philips High Heels, Schnürschuhen und Reißverschluss-Stiefeletten umher. Die Kellner trugen alte Matrosenanzüge und -hütchen. Der Pool war beleuchtet und schimmerte türkis und klar. Man kam sich vor wie an Bord eines Kreuzfahrtschiffs, das über den Dächern des Meatpacking District schwebte.
»Dann kriegen wir ja wohl doch noch unsere Matrosen«, sagte Vivienne.
Philip kam mit zwei Models in Offiziersuniformen am Arm zu uns. »Fröhliche Fleet Week«, wünschte er uns.
Vivienne begrüßte Philip flüchtig mit einem Luftkuss. Wegen irgendeiner Sache, die mich nichts anging, verstanden sie sich nicht mehr so gut, was die Atmosphäre etwas
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