Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
mir zu Philips Party folgen konnte, weiß er bestimmt auch, wo ich wohne.«
»Seine Nummer?«
Ich gab sie ihm.
»Hör zu, leg dich mal ein bisschen hin, und ich ruf dich an, wenn ich mit ihm fertig bin. Dem Schwein mach ich schon klar, dass er sich mit dem falschen Designer angelegt hat. Ciao.«
»Wenn du es ihm genau so sagst, bin ich tot.«
Am Nachmittag rief Ben mich zurück. Ich war gelähmt vor Angst und hatte mich den ganzen Tag zu Hause eingeschlossen.
»Die gute Nachricht lautet, ich konnte ihn auf 175 runterhandeln, aber dafür musst du ihm jetzt zwei Anzüge schneidern. Die schlechte: Ich habe ihn ziemlich wütend gemacht, und wir sollten auf jeden Fall zur Polizei gehen.«
»Was ist passiert?«
»Es gab einen kleinen Wortwechsel, dann ein paar Drohungen …«
Wieder wurde ich von einer unbekannten Nummer angerufen. 555.
»Na toll, jetzt ruft er schon wieder bei mir an.«
»Geh nicht ran. Lass ihn auf die Mailbox sprechen. Vielleicht sagt er ja irgendwas Dummes, das wir der Polizei geben können.«
»Oh Gott.«
»Ich hol dich ab.«
»Warte. Lass mich nachdenken.«
»Worüber denn?«
»Ich kann das nicht. Nicht heute. Ich bin total fertig.«
»Boy, der Kerl kommt mir wirklich gefährlich vor. Hast du doch selber gesagt.«
»Ja, aber wir müssen hier genau das Richtige machen.«
»Nämlich?«
»Du rufst deinen Freund George an und machst die ganze Sache öffentlich. Versteckspielen bringt nichts. Wenn wir zugeben, dass Ahmed mit dem Label in Verbindung steht, hat Hajji nichts mehr in der Hand, und ich muss nicht zur Polizei. Früher oder später kommt es sowieso raus. Am besten, sie hören es von uns.«
»Okay. Im Moment ist Qureshi ja nur ein mutmaßlicher Waffenschieber. Besser, du stehst jetzt mit einem Verdächtigen in Verbindung als später mit einem verurteilten Terroristen … Wenn das Ganze überhaupt stimmt, Gott bewahre. Auf jeden Fall ist es das kleinere Übel. Und umso schneller wächst Gras über die Sache.«
»Genau.«
»Ich regle das«, versprach Ben. »Ich bereite eine Stellungnahme vor. Wer weiß, vielleicht haben wir ja Glück und können bald über den ganzen Mist lachen.«
Wir wollten wirklich mit der ganzen Wahrheit an die Öffentlichkeit. Ben sollte alles erledigen. Es war wohl naiv von mir zu glauben, ich käme um ein Polizeiverhör herum, wenn ich direkt an die Presse ging. Es war aber ohnehin alles egal. Meine Zeit war schon abgelaufen.
...
DIE ÜBERWÄLTIGENDE HEIMSUCHUNG
...
Heute regnet es im Niemandsland. Das Prasseln am Fenster verbinde ich eigentlich mit dem Leben in New York. Immer, wenn es dort regnete, nahm ich alle Geräusche besonders intensiv wahr. Autos, die durch Pfützen fuhren, das nasse Quietschen des Busses auf der Second Avenue. Die wechselnden Ampelphasen. Das Knacken in den Schaltkästen der Ampeln. Alles funktionierte so effizient, selbst im Regen. Man wusste an jeder Kreuzung, was einen erwartete. Wenn die rote Hand blinkte, konnte man an den anderen Fußgängern sehen, wie viel Zeit man noch hatte. Wenn keine da waren, dann daran, wie weit die wartenden Autos sich schon auf den Überweg vorschoben. Man lernte diese Zeichen zu lesen.
Hier im Niemandsland ist nichts sicher.
Wann werde ich meinen persönlichen Vertreter kennenlernen?
Wann meinen Anwalt?
Wann werde ich entlassen?
Die Ungewissheit ist ihre stärkste Waffe. Nicht die Ketten. Nicht die Handschellen. Nicht das SMERF Squad. Die Ungewissheit.
Es beginnt mit dem Klopfen an der Tür mitten in der Nacht.
Vielleicht macht man sich da gerade etwas zu essen, einen kleinen Mitternachtssnack, oder man schlägt irgendwie die Zeit tot. Oder, wie in meinem Fall, man hat gerade eine Verflossene zu Besuch, mit der man sich erst wenige Stunden vorher zum sprichwörtlichen Sex mit der Ex verabredet hatte. Michelle hatte mich in einer SMS gefragt, ob ich zu Hause sei, und ich hatte geantwortet: »wär geil, wenn du KOMMST ;–*« Mit dieser ziemlich offensichtlichen sexuellen Andeutung wollte ich sicherstellen, dass wir beide dasselbe erwarteten. Was wohl der Fall war, denn sie antwortete mit: »in 20 min bei dir –XXX«. Da ich meine Skinny-Jeans in meinem Zustand zu beengend fand, zog ich einen lavendelfarbenen Seidenpyjama an, den ich für solche Gelegenheiten im Schrank hatte. Dann bezog ich das Bett frisch und parfümierte die Kissen ein wenig. Michelle griff währenddessen gern mal zum Gleitgel, also platzierte ich eine Tube strategisch geschickt in der
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