Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Gilvarry
Vom Netzwerk:
muss mal«, sagte sie und verschwand wieder.
    Ich stellte unsere Weingläser neben den Aschenbecher auf den Nachttisch. Eine Requisite. Nicht nur der Aschenbecher war wie im Film, sondern das Ganze, das Rauchen im Bett, egal ob davor oder danach. Es hatte Michelle nie gestört, wenn währenddessen eine im Aschenbecher lag und ausbrannte. Sie sagte mal, es erinnere sie an Anne Bancroft in Die Reifeprüfung .
    Ich setzte mich auf meinen Wassily-Stuhl neben dem Bett, legte die Zigarette in den Aschenbecher und wartete.
    Völlig ahnungslos verlebte ich meine letzten Augenblicke in Freiheit.
    Woran dachte ich? Da jede flüchtige Sekunde unserer Freiheit so entscheidend ist, würde ich mich gerne exakt an meine Gedanken erinnern. Ich könnte mir natürlich etwas ausdenken, vielleicht so etwas Dramatisches wie die Art und Weise, wie der Rauch der Zigarette entschwebte und träge in der Luft hängenblieb. Und Sie würden es mir sicher glauben. Aber ich weiß es wirklich nicht mehr. Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass ich überhaupt an irgendetwas Besonderes dachte. Was für eine Schande. Mein letzter privater Augenblick, und ich verschwendete ihn, wie man Wein verschüttet.Ich saß da und wartete. Auf Michelles Rückkehr aus dem Bad. Auf das Klopfen an der Tür.
    Was dann folgte, glich dem Moment vor einem Unfall, jedenfalls so wie ich ihn mir vorstelle. In diesem Sekundenbruchteil gefangen, ist man gar nichts. Man schwebt. Zeit, Raum und ihre Wahrnehmung laufen aus dem Ruder. Das eigene Leben wird von dem bevorstehenden Ereignis überschattet. Das Ereignis ist überwältigend. Selbst die Angst, die für so einen Moment unverzichtbar scheint, wird irgendwie aufgeschoben. Ich habe Schilderungen von Leuten gelesen, die mit vorgehaltener Waffe überfallen werden und in dem Augenblick unglaublich klar denken können und völlig gelassen Anweisungen befolgen. Sie tun einfach, was ihnen gesagt wird, während sie in einen Pistolenlauf schauen. Ich habe wohl ähnlich reagiert. Das Konzept der Angst war mir in diesem Moment völlig fremd. Wie gesagt, ich war nichts.
    Es klopfte an der Tür. Es wummerte. Wohl dreimal, aber die Zahl bedeutet nichts. Denn es war kein Klopfen, das eine Reaktion abwartet. Die Tür gab nach, bevor ich ein Bein vom anderen nehmen konnte. Mitten in der Bewegung erstarrte ich. Wichtig waren die Männer, die aus dem Licht des Flurs in die Dunkelheit meiner Wohnung hereinstürmten, in der ihre genaue Zahl schwierig abzuschätzen war. (Dabei muss man auch bedenken, dass sich der genaue Ablauf der Dinge seitdem in meinen Albträumen verändert hat. Ich schildere das Ereignis aber, so genau ich kann.)
    Es wurde gebrüllt: Hände hoch, auf die Knie, hinlegen usw. Die Schallpegel waren verschoben. Wenn man sich traumatische Erlebnisse vorstellt, erwartet man immer einen unterdrückten, gedämpften Ton, wie unter Wasser. Das war bei mir nicht so. Die Pegel waren verschoben, aber ich nahm jedes Detail wahr. Ich verstand genau, was die Männer von mir verlangten. Schon jetzt war ich nur noch ein dressierter Hund und befolgte jedes Kommando aufs Wort.
    Die Anzahl der Männer wirkte bedrohlicher als die Waffen, die auf mich gerichtet waren, auch wenn es von beiden gleich viele gab.
    Sie drückten mich auf den Boden und legten mir Handschellen und Fußfesseln an. Es tat höllisch weh. »Liegen bleiben!« Vom Boden aus konnte ich hören, wie sie die Wohnung durchsuchten. Meine Wahrnehmung wurde schärfer: Ich bekam mehrere Dinge mit, die gleichzeitig geschahen. Michelle weinte. Ich hörte es immer deutlicher, obwohl es eigentlich nicht lauter wurde. Ihre Schreie und Schluchzer nahmen in meiner Realität einen immer größeren Platz ein. Stimmen brachten sich im Zimmer in Position. Einer der Männer drückte mir seinen Stiefel in den Nacken, aber ich konnte den Kopf weit genug zur Seite drehen, um mich umzuschauen. Als er merkte, dass ich mich regte, lehnte er sich auf mich. »Keine Bewegung.« Mein Studio wurde durchwühlt. Doch ich machte mir mehr Sorgen um Michelle als um meinen Besitz. Ich sah die Männer. SMERFs. Nicht dieselben wie hier im Niemandsland, aber ähnliche. Dick ausgepolstert, mit Schutzwesten und schweren Waffen. Sie stellten die Bude auf den Kopf. Wonach sie wohl suchten? Das wussten sie wohl selbst nicht. Meine Kleiderständer wurden umgeworfen, ebenso mein Arbeitstisch. Skizzen, Stifte, Nadeln und Garnspulen wurden auf dem Boden verteilt. Jemand trug meine Nähmaschine davon. Stoffballen wurden

Weitere Kostenlose Bücher