Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Nachttischschublade.
Michelle klingelte unten an der Haustür, und ich drückte den Türöffner.
(Fast hätte ich es vergessen: Das Klopfen, das man hört, ist eher ein Hämmern voller autoritärer Amtsgewalt.)
Ich öffnete die Wohnungstür und wartete. Ich lauschte dem Hall ihrer Schritte, als sie die Treppe hinauf und dann durch den Betonflur stöckelte. Ihre Absätze hörten sich an wie im Film. Sie kam wohl gerade von einem Date, das schlecht gelaufen war.
»Danke, dass ich kommen durfte«, sagte sie. Sie roch gut und trug eine Bluse und einen Sommerrock. An der Tür zog sie die Schuhe aus und schlüpfte ganz selbstverständlich in ein Paar Flip-Flops. Wir hatten dieselbe Größe.
»Klar darfst du kommen. Ich freue mich doch, dich zu sehen.«
»Du weißt schon, was ich meine. Keine Ahnung, was heute mit mir los ist. Ich konnte einfach nicht in Omas Haus bleiben.«
An Michelles glasigen Augen fiel mir auf, wie spät es war. Nach Mitternacht.
»Was ist denn mit deinem Freund?«
»Mit wem?«
»Der, mit dem du im DuMont warst.«
»Ach komm, Boy, ich hab dir doch damals schon gesagt, da ist nichts. Wir sind nur Freunde. Wir hören kaum noch voneinander. Er hat eine Freundin und wohnt in Queens. Willst du noch mehr hören?«
»Ist mir eigentlich egal.«
»Hast du was zu trinken da?«
»Im Kühlschrank liegt eine Flasche Pinot.«
Sie verschwand in der Küche und kehrte mit zwei Gläsern Wein zurück. Ich fand es schön, dass sie nicht nachfragen musste, was wo stand.
»Sieht gut aus hier. Du hast geputzt.«
»Ich habe eine Putzfrau.«
»Na sieh mal einer an! Du hast dir eine eigene Filipina angestellt.«
»Sie ist Polin und kommt aus Greenpoint«, erwiderte ich.
»Noch besser. Auf jeden Fall ist es sauber. Gib ihr ’ne Lohnerhöhung. Zeig mal, woran du gerade arbeitest.«
Wir gingen zu meinem Arbeitstisch. Michelle hatte ein gutes Auge dafür, was sie selbst tragen würde und was nicht. Ich interessierte mich immer noch für ihre Meinung und fühlte mich geschmeichelt, als sie meine neueren Skizzen durchblätterte. »Die hier gefallen mir«, sagte sie. »Die hier nicht so. Ich würde das Ganze nochmal überdenken. Was soll das eigentlich werden?«
»Das weiß ich beim Zeichnen oft selber noch nicht. Ich mache einfach weiter, bis ich einen Stapel Skizzen zusammenhabe. Den sehe ich durch und sortiere nach Gefühl aus. Dann habe ich schon den Anfang einer namenlosen Kollektion.«
»Komische Methode. Ein Stück kann man so jedenfallsnicht schreiben. Einfach immer weitertippen und sich dann die besten Szenen aussuchen. Alles muss deutlich miteinander zusammenhängen. Bei einer Kollektion ist das doch auch nicht anders, oder?«
»Die Stücke hängen ja zusammen. Nur eben noch nicht von Anfang an. Zuallererst muss ich ein Gefühl für die neue Kollektion bekommen. Ich brauche da meine Freiheit. Außer Stiften und Papier kostet mich das Ganze ja nichts. Und die Zeit natürlich.«
»Zeit hat nicht jeder.«
»Klar hat jeder Zeit. Was gefällt dir denn an denen hier nicht?«
»Die machen noch keinen tragbaren Eindruck. Die einen hier ja, die anderen nicht. Ich hab aber nur ganz kurz drübergeschaut. Zeig sie alle mal deinen Freunden und mach eine Umfrage.«
»Tragbar. Ich weiß gar nicht mehr, was das überhaupt heißt.«
»Jetzt nicht so à la Target. Wir sind hier in New York und nicht in Paris oder London. Tragbar eben.«
»Hast recht«, erwiderte ich. »Die sind wirklich nicht tragbar.« Ich schob den Skizzenstapel beiseite. Dann zeigte ich ihr die ersten Schnittmuster für die Skizzen, die ihr gefallen hatten.
»Die sind toll«, sagte sie. »Rudi Gernreich?«
»Rudi Gernreich für Target.«
»Nicht schlecht.« Sie lachte.
Ich küsste sie. Sie hatte es nicht erwartet und blockte zunächst ab, doch ziemlich schnell entspannte sie sich und gab sich dem Moment hin. Sie hatte getrunken. Ihre Lippen schmeckten nach Gin.
Plötzlich stieß sie mich von sich.
»Wo sind deine Zigaretten?«, fragte sie.
»In der Küche. Rechte Schublade.«
Sie ging sie holen. Ich folgte ihr. Sie drehte den Herd voll auf. Es war ein Elektroherd mit diesen hypnotischen Platten. »Auch eine?«, fragte sie und zog zwei Zigaretten aus der Schachtel.
»Ja«, erwiderte ich.
Als die Herdplatte rot glühte, beugte sie sich vor und zündete die Zigaretten nacheinander an. Sie gab mir meine, die nur schwach glomm und chemisch stank. Auf der Herdplatte verrauchte noch ein Tabakrest. Ich drehte den Herd für sie aus.
»Ich
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