Belgarath der Zauberer
die Wanderlust. Viele Stunden saß ich dort, und diese Entscheidung, die ich im Winter getroffen hatte, kam mir wieder in den Sinn. Sosehr ich das Tal auch liebte, gab es hier doch zu viele schmerzhafte Erinnerungen. Ich wußte, daß Beldin und die Zwillinge sich um meine Töchter kümmern würden, und Poledra war nicht mehr da, und mein Meister war ebenfalls fort Deshalb gab es hier nichts mehr, das mich hielt.
Ich blickte hinunter ins Tal, in dem unsere Turme wie verstreutes Spielzeug und die grasenden Rehe wie winzige Ameisen aussahen. Selbst der uralte Baum in der Mitte des Tales wirkte von hier aus winzig klein. Ich wußte, daß ich diesen Baum vermissen würde; aber er war schon immer dort und er würde auch dort sein, wenn ich zurückkam -falls ich zurückkam.
Dann stand ich auf und wandte dem einzigen Ort, den ich je wirklich mein Zuhause genannt hatte, den Rücken zu.
Ich machte einen Bogen um das östliche Ulgoland. Seit diesem schrecklichen Tag hatte ich meine Fähigkeiten nicht mehr eingesetzt und ich war mir nicht sicher, ob ich sie überhaupt noch besaß. Gruls Wunde war inzwischen bestimmt verheilt. Gewiß war er wütend auf mich, und ein weiteres Mal würde er mich nicht nahe genug an sich heranlassen, daß mein Messer etwas ausrichten konnte. Und es wäre äußerst peinlich für mich, wenn ich versuchte, meinen Willen zu konzentrieren, nur um festzustellen, daß es ihn nicht mehr gab. In diesen Bergen gab es auch Hrulgin, Algroths und einige Trolle; deshalb war es ein kluger Entschluß, einen Bogen um dieses Gebiet zu machen.
Meine Brüder versuchten natürlich, Verbindung mit mir aufzunehmen. Schwach hörte ich ihre Stimmen, die mich riefen, doch ich antwortete nicht Es wäre nur Zeitverschwendung und die Mühe nicht wert gewesen. Ich würde nicht zurückkehren, egal, was sie sagten.
Ich zog durch das westliche Algarien, ohne jemandem zu begegnen. Als ich nach meiner Schätzung den Norden Ulgolands weit genug umgangen hatte, wandte ich mich westwärts, überquerte die Berge und stieg hinunter in die Ebenen um Muros.
Wo das heutige Muros liegt, stand ein kleines, verschlafenes Dorf der wacitischen Arender. Dort versorgte ich mich mit Vorräten. Da ich kein Geld bei mir hatte, kehrte ich zu den etwas dubiosen Praktiken meiner Jugend zurück und stahl, was ich brauchte.
Dann zog ich den Fluß entlang weiter und gelangte schließlich nach Camaar. Wie alle Hafenstädte hatte auch Camaar einen kosmopolitischen Anstrich. Die Stadt unterstand nominell dem Herzog von Vo Wacune, doch in den Hafenspelunken, die ich aufsuchte, hielten sich ebenso viele Alorner, Tolnedrer und sogar Nyissaner auf wie Waciter. Die Einwohner verdienten sich ihren Lebensunterhalt hauptsächlich als Seeleute, und Seeleute, die nach langer Fahrt in einem Hafen ankommen, sind guter Laune und großzügig; deshalb war es kein Problem, mich zu einigen Krügen Bier einladen zu lassen.
Wie es in einer Gesellschaft üblich war, in der niemand schreiben und lesen konnte, hörten die Gäste in den Tavernen gern Geschichten, und ich konnte die besten Geschichten erzählen. So schlug ich mich in Camaar durch, wie ich es über die Jahre hinweg sehr oft tat Es ist leicht, auf diese Weise seinen Lebensunterhalt zu verdienen, und noch dazu sitzend, was von großem Vorteil war, denn meist war ich nicht mehr in der Verfassung, stehen zu können. Kurz gesagt ich wurde ein Trinker. Offensichtlich wurde ich auch zum öffentlichen Ärgernis; ich glaube mich daran erinnern zu können, daß man mich aus einigen Hafenkneipen geworfen hatte – aus Spelunken, in denen gesellschaftliche Fehltritte normalerweise mit Nachsicht behandelt werden.
Ich weiß wirklich nicht mehr, wie lange ich in Camaar blieb – doch es waren mindestens zwei Jahre. Jeden Abend trank ich bis zur Bewußtlosigkeit und ich wußte nie, wo ich am nächsten Morgen aufwachen würde. Für gewöhnlich war das unter einer Brücke oder in einer stinkenden, engen Gasse. Da sich die Leute am Morgen nicht für Geschichten interessierten, lungerte ich an Straßenecken und verdiente mir, nebenberuflich sozusagen, meinen Unterhalt mit Betteln. Ich machte meine Sache recht gut – auf jeden Fall gut genug, um jeden Tag bereits zur Mittagszeit wieder volltrunken zu sein.
Ich begann Dinge zu sehen, die sonst niemand sah, und Stimmen zu hören, die sonst niemand hörte. Stets zitterten meine Hände heftig, und oft erblickte ich beim Aufwachen weiße Mäuse.
Aber ich träumte nicht und ich
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