Belgarath der Zauberer
daran gedacht, sie zurückzulassen; wahrscheinlich hätte es auch keinen Zweck gehabt. Als wir uns das erstemal begegnet waren, hatte sie erklärt, sie wolle nur für eine gewisse Zeit meine Weggefährtin sein. Offensichtlich waren wir noch nicht am Ende dieser Zeitspanne angelangt. Aber das machte mir nichts aus, im Gegenteil. Ihre Gesellschaft war mir angenehm.
Der kürzeste Weg ins nördliche Arendien führte über Ulgoland; deshalb begaben die Wölfin und ich uns in diese Berge und zogen dann nach Nordwesten weiter. Jeden Abend richtete ich uns ein Lager. Zuerst hatte das Feuer die Wölfin nervös gemacht; aber jetzt gefiel es ihr, jeden Abend das Spiel der Flammen zu betrachten und die wohlige Wärme zu genießen.
Nach einigen Tagen stellte ich fest daß wir nahe an Prolgu vorbeikommen würden. Ich mochte den derzeitigen Gorim wirklich nicht besonders; er schien der Meinung zu sein, daß die Ulgoner dem Rest der Menschheit in jeder Hinsicht überlegen waren. Eher zögernd überredete ich mich selbst, daß es nicht von guten Manieren zeugte, wenn ich an Prolgu vorbeizöge, ohne dort einen Höflichkeitsbesuch abzustatten; deshalb bogen wir nach Norden ab, um in die Stadt zu gelangen.
Die Strecke, die ich wählte, um Prolgu zu erreichen, führte durch eine dicht bewaldete Schlucht, durch deren Mitte ein Wildbach toste. Es war am frühen Vormittag, und das Sonnenlicht hatte eben den feuchten Boden der Schlucht erreicht Ich hing wahrscheinlich Tagträumen nach. Wenn ich in den Bergen bin, überkommt mich stets ein Gefühl des Friedens und der Gelassenheit.
Plötzlich legte die Wölfin die Ohren zurück und knurrte warnend.
»Gibt es ein Problem?« fragte ich sie in der Sprache der Menschen, ohne darüber nachzudenken.
»Pferde«, erwiderte sie auf wölfisch. »Aber vielleicht sind es keine richtigen Pferde. Ich rieche Blut und rohes Fleisch.«
»Mach dir darüber keine Sorgen«, beruhigte ich sie und sprach wieder wölfisch. »Das sind Hrulgin. Sie sind Fleischesser. Was du riechst sind Blut und Fleisch vom Hirsch.«
»Ich fürchte, da irrst du dich. Es riecht nicht nach Wild. Ich nehme den Geruch von Blut und Mensch wahr.«
»Das ist nicht möglich«, schnaufte ich. »Die Hrulgin sind keine Menschenfresser. Sie leben in Frieden mit den Ulgonern hier in diesen Bergen.«
»Meine Nase ist sehr gut«, beharrte sie. »Ich würde den Geruch von Menschenblut nicht mit dem eines Hirsches verwechseln. Diese fleischfressenden Pferde haben Menschen getötet und sie verzehrt Und sie sind wieder auf der Jagd.«
»Auf der Jagd? Wonach?«
»Ich glaube, sie jagen dich.«
Ich versuchte, in den Gedanken der Hrulgin zu lesen, und dankte insgeheim meinem Meister, daß er mich diese Fertigkeit gelehrt hatte. Die Hrulgin empfanden nicht wirklich wie Pferde. Pferde fressen Gras, und sie sind nur in der Paarungszeit aggressiv. Die Hrulgin sehen Pferden zwar ähnlich – abgesehen von den Klauen und Fängen –, aber sie essen kein Gras. Ich hatte die Gedanken der Hrulgin schon früher berührt, als ich durch die Berge von Ulgoland gewandert war. Ich wußte, daß sie Jäger waren und ziemlich wild, doch der Friede ULs hatte sie stets in ihre Schranken verwiesen. Von diesen Schranken hatten sie sich nun offenbar befreit.
Die Wölfin hatte recht. Die Hrulgin jagten mich.
Diese Erfahrung war nicht neu für mich. Ein junger Löwe hatte sich einmal an mich angepirscht und mich zwei Tage lang verfolgt, ehe ich ihn schließlich davonscheuchen konnte. Jagende Tiere hegen keine bösartigen Gedanken; sie suchen nur etwas zu fressen. Was ich aber diesmal fand, war kalter Haß, ja, mehr noch: Ich glaube, ich erkannte völligen Wahnsinn. Diese Hrulgin waren mehr am Töten interessiert als am Verzehr der Beute. Ich steckte in Schwierigkeiten.
»Ich schlage vor, du änderst unsere Gestalt«, riet die Wölfin. Sie ließ sich auf die Hinterläufe nieder, und ihre lange, rosige Zunge hing ihr aus dem Maul. Falls ihr es noch nicht bemerkt haben solltet: Auf diese Art und Weise lachen Hunde und Wölfe.
»Was ist so lustig?« wollte ich von ihr wissen.
»Was das Mannwesen tut Der Jäger lenkt all seine Gedanken auf die Beute. Wenn er ein Kaninchen jagt läßt er sich nicht von einem Eichhörnchen ablenken. Diese menschfressenden Pferde jagen einen Mann – dich. Verändere deine Gestalt und sie werden dich nicht beachten.«
Es war mir tatsächlich peinlich. Warum hatte ich nicht daran gedacht? Trotz unserer Kultiviertheit reagieren wir
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