Belgarath der Zauberer
kommen.«
»Warum? Ein Welpe ist doch wie jeder andere, nicht wahr? Charakter entwickelt sich bei der Aufzucht und nicht durch die Blutlinie.«
Darüber stritten wir uns noch jahrhundertelang, und ich hege den starken Verdacht, daß sie nur darüber stritt, weil mich das Thema störte. Selbstverständlich war ich der Führer unseres eigenartigen kleinen Rudels, aber sie ließ nicht zu, daß mir dies zu Kopfe stieg.
Arendien war in jenen Tagen ein eher tristes Land. Schon vor dem Krieg mit den Angarakanern hatten die Arender die traurige Sitte der Leibeigenschaft gekannt, und sie brachten sie mit als sie nach Westen zogen. Ich selbst habe nie verstanden, wie jemand es sich gefallen lassen konnte, als Leibeigener behandelt zu werden; ich vermute jedoch, daß der Charakter der Arender etwas damit zu tun hat. Aus dem nichtigsten Anlaß brechen sie einen Streit vom Zaun, und ein Bauer braucht irgend jemanden, der ihn vor seinen übelmeinenden Nachbarn beschützt.
Das Land, das die Arender im Zentrum des Kontinents gerodet hatten, war in weite, fruchtbare Felder verwandelt worden. Ihre neue Heimat war bewaldet gewesen, und so mußten zunächst Bäume gefällt werden, ehe etwas angebaut werden konnte. Diese Arbeit oblag den Leibeigenen. Die Wölfin und ich gewöhnten uns allmählich an den Anblick nackter Leute, die in der Erde wühlten. »Man fragt sich, warum sie für diese Arbeit ihr Fell ablegen«, meinte sie eines Tages. In der wölfischen Sprache gibt es kein Wort für ›Kleidung‹; deshalb mußte sie improvisieren.
»Die Leute tun das, weil sie nur dieses eine Ding haben, um ihre Körper zu bedecken, und sie wollen nicht daß es bei der Arbeit verletzt wird.« Ich entschied mich dagegen, das Problem der Armut der Leibeigenen anzuschneiden und die Kosten für einen neuen Leinenkittel zu erörtern. Die Diskussion war schon kompliziert genug. Wie erklärt man einem Wesen, das keinerlei Besitz braucht, das Prinzip des Besitztums?
»Dieses Bedecken der Körper ist närrisch«, erklärte die Wölfin. »Warum tun die Menschenwesen das?«
»Um sich zu wärmen, wenn es kalt ist.«
»Aber sie tun es auch, wenn es nicht kalt ist. Warum?«
»Aus Schamgefühl.«
»Was ist Schamgefühl?«
Ich seufzte. Hier schien ich nicht recht weiterzukommen. »Es ist ein Brauch der Menschenwesen«, sagte ich.
»Oh. Wenn es ein Brauch ist, dann finde ich das in Ordnung.« Wölfe haben großen Respekt vor Brauchtum. Dann aber fiel ihr sofort etwas anderes ein. Sie dachte immer an irgend etwas anderes. »Wenn es Brauch unter den Menschenwesen ist, manchmal ihre Körper zu bedecken und manchmal nicht, kann das aber kein besonders wichtiger Brauch sein, nicht wahr?«
Ich gab es auf. »Nein«, sagte ich. »Wahrscheinlich nicht.«
Mitten auf dem Waldpfad, den wir entlanggingen, ließ sie sich auf ihre Hinterläufe nieder, und vor wölfischem Gelächter hing ihr die Zunge aus dem Maul.
»Könntest du damit aufhören?« verlangte ich.
»Ich bin bloß über die Widersprüchlichkeit deiner menschlichen Gedanken belustigt«, erwiderte sie. »Würdest du deine wahre Gestalt annehmen, würden deine Gedanken in weitaus geordneteren Bahnen verlaufen.« Sie war noch immer davon überzeugt, daß ich ein echter Wolf war, und hielt meinen häufigen Gestaltwandel für eine meiner Eigenheiten.
In den Wäldern Arendiens trafen wir häufig auf die nahezu allgegenwärtigen Banden Gesetzloser. Nicht alle Leibeigenen waren bereit, ihr Schicksal stillschweigend hinzunehmen. Ich habe es nicht gern, wenn man mit Speerspitzen auf mich zielt; deshalb nahm ich meine Wolfsgestalt an, sobald wir außer Sichtweite des Dorfes waren, das wir soeben verlassen hatten. Selbst der dümmste entlaufene Leibeigene läßt sich nicht mit zwei ausgewachsenen Wölfen ein. Das war mir ohnehin schon immer unangenehm aufgefallen. Die Leute mischen sich ständig ein, wenn ich etwas zu erledigen habe. Warum können sie mich nicht in Ruhe lassen?
Nach einigen Jahren zogen wir weiter nach Tolnedra, und ich betätigte mich auch dort als Ehestifter. Schließlich gelangten wir nach Tol Nedrane.
Bemüht euch gar nicht erst; ihr werdet es auf keiner Karte finden.
Noch vor Beginn des zweiten Jahrtausends wurde der Name geändert. Die Stadt heißt jetzt Tol Honethite.
Ich weiß, daß die meisten von euch Tol Honethite gesehen haben, aber damals hättet ihr die Stadt nicht erkannt. Der Krieg mit den Angarakanern hatte die Tolnedrer gelehrt, sich beim Bau einer wehrhaften Siedlung
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