Bell ist der Nächste

ist, hatte er gesagt.
    »Sie hat ihn geheiratet, weil er ihr leid tat«, sagte sie. »Das hat sie uns erzählt.«
    Strähnen ihres rabenschwarzen Haars fielen Elizabeth über die Wange. »Wenn einem ein Mann leid tut, lässt man ihn sich an seiner Schulter ausweinen. Man nimmt ihn vielleicht sogar mal mit ins Bett. Man heiratet ihn aber gewöhnlich nicht und kriegt ein Kind von ihm. Madelyn Turner hat im Zusammenhang mit Charlie Dawtrey gelogen. Sie hat ihn nicht zufällig kennengelernt. Sie hat nach ihm gesucht. Sie konnte nicht anders. Sie hatten etwas gemeinsam.«
    Elizabeth nahm eine Akte von einem kleinen Glastisch neben ihrem Stuhl. Sie gab mir die Seite, auf die ich am vorigen Abend geblickt hatte, die Seite mit den Namen von Matthew Kenneallys Eltern. Richard J. Kenneally und Mary M. LaFleur.
    »Das M steht für Madelyn«, sagte sie. »LaFleur war ihr Mädchenname.«
    Sie stand auf und lehnte sich an das Geländer. »Madelyn ist in Sault Sainte Marie aufgewachsen«, sagte sie. »Ist weggezogen, als sie neunzehn und schwanger mit Matthew war. Richard Kenneally nahm sie mit nach Steven’s Point, Wisconsin. Er arbeitete dort in der Universitätsverwaltung. Und er starb, als Matthew im Teenageralter war. Schließlich ging Matthew aufs College, und Madelyn zog zurück in ihre Heimatstadt Sault Sainte Marie.
    Sie lebte dort, als der Überfall auf die Great Lakes Bank geschah. Matthew ist an jenem Tag von der Bank weggerast und auf die Interstate gefahren. Dort ist er in den Streifenwagen gekracht und hat Scott White getötet. Er ist dann wohl in Panik geraten und zu seiner Mutter gefahren. Wir wissen, dass irgendjemand ihm geholfen hat, denn die Polizei hat den schwarzen Geländewagen gefunden, aber nicht ihn. Als dann der Prozess gegen Terry Dawtrey begann, muss Madelyn schwer belastet gewesen sein. Terry hatte auf einen Polizisten geschossen. Jedem war klar, dass er dafür ins Gefängnis wandern würde. Charlie Dawtrey würde seinen Sohn verlieren. Aber Madelyns Sohn war davongekommen. Charlie tat ihr leid, aber mehr als das – sie fühlte sich schuldig.«
    Madelyn hatte uns einen Teil der Wahrheit erzählt, an jenem Tag, als wir sie in ihrem Haus oben im Norden aufgesucht hatten. Als Terry ins Gefängnis kam, brach es Charlie das Herz, hatte sie gesagt. Ich dachte, ich könnte etwas verändern, indem ich ihm noch ein Kind schenkte. Sie hat ihm Nick geschenkt, um den verlorenen Sohn zu ersetzen.
    »Hinter der Geschichte steckt noch mehr«, sagte ich zu Elizabeth.
    »Natürlich.«
    Ich tippte auf das Blatt, das ich in der Hand hielt. »Matthew Kenneally war ein uneheliches Kind.«
    »Das ist richtig.«
    »Ich habe meine Zweifel, ob Richard Kenneally tatsächlich sein Vater war.«
    »Ich auch«, sagte Elizabeth. »Es war die ganze Zeit direkt vor unseren Augen. Madelyn Turner war zu ihrer Zeit eine Schönheit. Und sie fühlte sich zu älteren Männern hingezogen, zu der Art von Männern, die etwas mehr zu bieten haben.«
    Als ich jung war, habe ich einige sehr schöne Zeiten mit Männern erlebt, hatte sie zu uns gesagt. Wenn mir danach wäre, könnte ich Ihnen ein paar Geschichten erzählen.
    »Männer wie John Casterbridge«, sagte ich.
    Elizabeth nickte. »Madelyn war zwanzig, als sie Matthew Kenneally auf die Welt brachte. Das ist siebenunddreißig Jahre her. Damals war John Casterbridge ein Kongressabgeordneter, der Ambitionen hatte, für den Senat zu kandidieren. Er klapperte Städte im ganzen Bundesstaat ab – einschließlich Sault Sainte Marie. Er war verheiratet und hatte bereits einen jungen Sohn, aber das konnte ihn nicht aufhalten. Und wenn er Matthew Kenneallys Vater war, dann kann das auch sehr gut erklären, warum Kenneally nie mit dem Überfall auf die Great Lakes Bank in Verbindung gebracht worden ist. Ich denke, du hattest recht: Der Sohn des Senators war der fünfte Bankräuber, und der Senator hat seinen Einfluss geltend gemacht, um das zu vertuschen. Du hattest bloß den falschen Sohn im Visier.«
    Es war nicht nur wilde Spekulation, die Elizabeth dazu geführt hatte, Madelyn Turner mit John Casterbridge in Verbindung zu bringen.
    »Ich glaube, sie haben in all den Jahren den Kontakt gehalten«, sagte sie und griff wieder nach der Akte. »Vor zweieinhalb Wochen war Kyle Scudder noch in Haft wegen des Mordes an Charlie Dawtrey. Scudder ist Madelyn Turners augenblicklicher Liebhaber. Am Montag, den zwanzigsten, hat Madelyn Gott und die Welt angerufen, um zu erreichen, dass er auf freien Fuß