Bell ist der Nächste
»Paul Rhiner ist gerade weggefahren. Waren Sie verabredet?«
Elizabeth drehte sich um und blickte auf die Straße. »Ach, der war das?«
»Rhiner ist der, der Terry Dawtrey erschossen hat. Gibt es irgendwelche neuen Entwicklungen? Irgendetwas, das vielleicht neues Licht auf den Mord an Henry Kormoran oder den Angriff auf Sutton Bell wirft?«
»Sie stellt gute Fragen, oder?«, sagte Elizabeth.
»Und gleich so viele«, erwiderte ich.
»Vielleicht wollen Sie wenigstens eine davon beantworten«, bettelte Lucy Navarro.
»Das würde ich ja«, sagte Elizabeth, »aber wir haben es eilig. David, wann fährt der Zug noch mal?«
Ich sah auf die Uhr. »Wenn wir jetzt aufbrechen, sollten wir es noch schaffen.«
»Welcher Zug?«
Elizabeth machte einen Schritt auf Lucy Navarro zu. »Ich sollte Ihnen das nicht erzählen«, sagte sie mit gesenkter Stimme, »aber gleich auf der anderen Seite der Grenze kann man mit dem Zug durch den Agawa Canyon fahren. Unter uns und ohne Zeugen, ich habe gehört, die Aussicht ist spektakulär.«
12
Der schnellste Weg nach Brimley wäre über die I-75 und dann die Route 28 gewesen. Elizabeth wählte eine landschaftlich schönere Strecke, fuhr auf Landstraßen durch die waldreiche Landschaft, nahm die West Six Mile Road und folgte ihr durch den Brimley State Park. Lucy Navarro fuhr uns in ihrem gelben Beetle hinterher.
Als wir Brimley erreichten, fuhren wir in südlicher Richtung durch das kleine Stadtzentrum, bevor wir auf einen ungepflasterten Weg einbogen, der uns zu einem umgebauten Farmhaus mit einem lang gestreckten Schrägdach und einem dicken Schornstein führte. Wir bogen in die Einfahrt ein, gerade als Lucy an uns vorbeifuhr.
Elizabeth hatte zuvor angerufen, sodass uns Madelyn Turner jetzt an der Tür in Empfang nahm. Sie führte uns in ein Zimmer, das von einem Kamin beherrscht wurde, der aus unbehauenen Steinen gebaut und mit einem Kaminsims aus Eichenholz versehen worden war.
Sie bat uns, auf einem Ledersofa Platz zu nehmen, und brachte uns Limonade, aber noch bevor sie sich selbst setzen konnte, kam ein etwa fünfzehn Jahre alter Junge hereingeweht. Knapp einssechzig groß, schwarze Haare und Sommersprossen. Sie stellte ihn als ihren Sohn Nick vor, flüsterte ihm etwas ins Ohr, und er machte kehrt. Einen Augenblick später schloss sich klappernd eine Tür, und ich sah durch eines der großen Fenster, wie er in den Garten ging.
Madelyn Turner ließ sich in einem Armsessel nieder. »Ich möchte nicht, dass Nick unser Gespräch mithört. Es hat ihn sehr mitgenommen, was mit seinem Vater und mit Terry passiert ist. Das ist mehr, als ein Junge wie er aushalten sollte.«
Elizabeth beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf den Knien ab. »Ich habe gehört, dass er es war, der die Leiche seines Vaters gefunden hat.«
»Ich hätte ihn nicht allein fahren lassen sollen«, sagte Madelyn. »Aber er hat Charlie geliebt. Ich hätte ihn, selbst wenn ich es versucht hätte, nicht davon abhalten können. Der Junge ist überallhin mit seinem Fahrrad unterwegs, und Charlie wohnte ja nur drei, vier Kilometer entfernt.«
»Wie haben Charlie Dawtrey und Sie sich kennengelernt?«
Madelyn griff nach einer Zigarettenschachtel auf dem Beistelltisch, ließ dann aber davon ab.
»Das war nach dem Banküberfall«, sagte sie, »als Terry vor Gericht stand. Charlie ist jeden Tag zum Amtsgericht gegangen, und wenn Mittagspause war, ging er nach draußen und setzte sich auf eine Parkbank ganz in der Nähe. Ich hatte damals einen Job in einer Boutique in Sault Sainte Marie, und wenn das Wetter gut war, habe ich immer mein Lunch im Park gegessen. Eines Tages sind wir ins Gespräch gekommen, und daraus wurde allmählich mehr.«
»Ich habe gehört, dass er ein ganzes Stück älter war als Sie«, sagte Elizabeth.
»Mich haben immer schon ältere Männer angezogen«, sagte Madelyn. »Sie haben meist mehr zu bieten. Schon als ich jung war, habe ich einige sehr schöne Zeiten mit Männern erlebt, die deutlich älter waren als ich. Wenn mir danach wäre, könnte ich Ihnen ein paar Geschichten erzählen.«
Das war unschwer zu glauben. Ihr dunkles Haar wies am Ansatz etwas Grau auf, aber ihre Augen sprühten. Sie hatte ausgeprägte Wangenknochen. Ihre Kieferpartie war weich geworden, aber nicht zu weich. Die Kleidung, die sie trug – Stricktop, knielanger Rock –, ließ sie ein wenig mollig wirken, dennoch war die Figur zu ahnen, die sie gehabt haben musste, als sie jünger gewesen war.
»Charlie war ein
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