Bell ist der Nächste
geirrt.«
Lucy klappte ihren Notizblock zu und legte ihn auf den Schreibtisch neben ihre Sonnenbrille.
»Wollen Sie gar nicht wissen, wann und wo Henry Kormoran Sie angeblich mit Lambeau zusammen gesehen hat?«
»Sie wollen es mir offenbar unbedingt erzählen«, erwiderte Callie.
»Das ›Wann‹ ist spannend: ein paar Wochen vor dem Überfall auf die Great Lakes Bank. Das ›Wo‹ ist sogar noch besser – möchten Sie vielleicht raten?«
»Nein.«
Lucy wandte sich an mich. »Was ist mit Ihnen, Loogan?«
Ich kam nur auf eine offenkundige Möglichkeit. »Vor der Great Lakes Bank?«
»Gut geraten«, sagte Lucy. »Kormoran erzählte mir, er habe Lambeau nach Sault Sainte Marie gefahren, um sich die Great Lakes Bank genau anzuschauen. Ich glaube, man nennt das ›einen Bruch klarmachen‹. Sie parkten vor einer Bäckerei gegenüber und beobachten einige Minuten lang den Eingang der Bank. Dann schickte Lambeau Kormoran in die Bäckerei, um ihm einen Kaffee zu holen. Als er wieder herauskam, war Lambeau weg.
Kormoran wartete im Wagen. Er sah, wie Lambeau ein paar Minuten später in Begleitung einer jungen Frau aus der Bank herauskam. Sie standen auf dem Bürgersteig, unterhielten sich, und dann verabschiedeten sie sich. Sie machte einen Schritt von Lambeau weg, lächelte ihn an und ging dann weiter. Als Lambeau zum Wagen zurückkehrte, fragte Kormoran, wer die Frau gewesen sei.
Lambeau wollte es ihm nicht sagen. ›Sei nicht so neugierig‹, sagte er. Aber Kormoran hatte sie nie vergessen, und Jahre später, als er Sie im Fernsehen sah, stellte er die Verbindung her. Sie waren die Frau vor der Bank. Er erzählte mir, er sei sich ganz sicher, weil er sich daran erinnerte, dass die Frau ein ganz umwerfendes Lächeln gehabt habe.«
Callie Spencer zog ihre Hand von der Glasplatte weg. Im Sonnenlicht konnte ich ihre Fingerabdrücke auf dem Glas sehen.
»Das ist eine gute Geschichte«, sagte sie mit leiser Stimme. »Viel besser als die, in der Lambeau mein Vater ist. Ein Mensch kann sich nicht aussuchen, wer sein Vater ist. Aber wenn ich Lambeau geholfen hätte, die Great Lakes Bank klarzumachen, dann wäre das natürlich eine tolle Schlagzeile.«
»Dann leugnen Sie das also?«, fragte Lucy.
Callie stand auf und blickte durch das Fenster auf das Haupthaus. Das Sonnenlicht ließ ihr Gesicht blass erscheinen.
»Ja«, sagte sie und wandte sich wieder an Lucy. »Aber lassen Sie sich nicht daran hindern, sie zu drucken. Wenn ich Sie wäre, würde ich den Satz über mein umwerfendes Lächeln unbedingt auch bringen. Das ist ein hübsches Detail. Das bringt wirklich Auflage. Sie werden mein Dementi im letzten Absatz verstecken wollen, und vielleicht finden Sie ja ein Foto von mir aus jener Zeit. Eins, auf dem ich lächele.«
Sie ging um den Schreibtisch herum, ihre Absätze klapperten auf dem Parkett, und obwohl sie uns nicht ausdrücklich bat, zu gehen, verstand ich doch, dass das die Botschaft war. Auch Lucy verstand das. Sie griff nach ihrer Tasche und ihrem Notizbuch, und wir folgten Callie nach draußen. Da drehte sich Lucy noch einmal um.
»Entschuldigen Sie«, sagte sie. »Ich habe meine Sonnenbrille vergessen.«
Sie ging noch einmal hinein, um sie zu holen, und ließ mich mit Callie zurück. Callie sah auf die Steinplatten zu unseren Füßen. Ich hatte keine Ahnung, was sie wohl dachte. Mir fiel das Porträt ein, das ihr Vater gemalt hatte und das an der Wand in seinem Atelier hing. Callie Spencer, Anfang, Mitte zwanzig, ernst und entschlossen, die Lippen fest zusammengepresst.
»Sie wird kein Foto aus der Zeit von Ihnen finden, auf dem Sie lächeln«, sagte ich.
Callie blickte von den Steinplatten auf. »Wahrscheinlich nicht. Ich habe damals nicht sehr oft gelächelt. Krumme Zähne. Die Krankenversicherung meiner Eltern hat nicht für eine feste Zahnspange gezahlt. Die habe ich erst bekommen, als ich schon siebenundzwanzig war – vier Jahre nach dem Great- Lakes-Bankraub.«
»Wenn Henry Kormoran Sie damals wirklich hätte lächeln sehen –«
»– dann hätte er das Lächeln nicht umwerfend gefunden.«
Ich machte eine Kopfbewegung in Richtung Tür.
»Das könnten Sie ihr doch sagen«, sagte ich.
Callie Spencers Blick verfinsterte sich.
»Ich habe ihr schon die Sache mit den Blutgruppen erklärt. Soll ich sie auch noch mit meinem Kieferorthopäden zusammenbringen? Sie kann schreiben, was sie will. Es ist eine solch absurde Geschichte. Ich denke, die Leute werden das schon durchschauen.«
Ich hielt
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