Benedict-Clan "Der Mitternachtsmann"
Dienste in Anspruch nehmen würde.“
Die Angesprochene drehte sich langsam zu April um. In ihren braunen Augen lag ein gehetzter Ausdruck, und ihre Bewegungen waren so ruckartig, als ob sie ihren grobknochigen Körper zwingen müsse, den Befehlen ihres Gehirns Folge zu leisten. Sie schob sich nervös mit einer Hand das blonde Haar aus dem Gesicht und fragte: „Reden Sie mit mir?“
Luke beobachtete, wie April Muriel die Situation der Möchtegernschriftstellerin erläuterte. Die Lektorin wirkte nicht gerade glücklich über die Aussicht, einen neuen Schützling zu bekommen. Mit einem schrillen Unterton in der Stimme sagte sie zu der angehenden Autorin: „Die liebe April hätte Ihnen erzählen sollen, dass ich auch Schreibworkshops abhalte. Vielleicht möchten Sie sich ja anmelden?“
„Oh, das brauche ich nicht“, sagte die Frau, während sie den Arm der Lektorin wie einen Rettungsring ergriff. „Aber wenn Sie mir nur ein paar Minuten Ihrer Zeit schenken, kann ich Sie ganz bestimmt davon überzeugen, meinem Buch eine Chance zu geben.“
„Der Verlag, für den ich tätig bin, hat keine Liebesromane im Programm.“ Der Tonfall war ebenso schonungslos wie die Worte.
„Ich kann über alles schreiben, was Sie wollen!“
„Lokalhistorie?“
„Selbstverständlich.“
Die Antwort kam so prompt, dass sogar Luke überzeugt war, dass die unpublizierte Autorin dieselbe Antwort gegeben hätte, wenn die Lektorin sie gefragt hätte, ob sie eine wissenschaftliche Abhandlung über die Flora und Fauna des Amazonasbeckens schreiben könne. Übergangslos begann sie mit emphatischen Worten den Inhalt ihres romantischen Werks zu umreißen, wobei sie immer wieder Fragen einstreute, die darauf schließen ließen, dass sie den Verdacht hatte, Muriel könnte in New York Verlagskontakte haben, die sie nicht preisgeben wollte.
Als Luke April einen Blick zuwarf, um zu sehen, was sie von der Sache hielt, ertappte er sie bei einem schiefen Lächeln, das sie sich zu verkneifen suchte. Sobald sie merkte, dass er es gesehen hatte, wurde sie rot und wandte sich abrupt ab. Einen Moment später verließ sie fluchtartig den Raum.
Luke schaute immer noch hinter ihr her, als er neben sich ein leises Kichern hörte. Als er den Kopf wandte, nickte ihm die Frau, die neben ihm stand, freundlich zu. „Gemein“, sagte sie leise, „aber wirkungsvoll, finden Sie nicht?“
„Wie bitte?“
„Oh, mein Fehler. Irgendetwas an Ihrem Gesichtsausdruck … nun, ich dachte, Sie wissen, was hier vorgeht.“
„Nein, aber ich wüsste es gern“, sagte er offenherzig. „Und vielleicht haben Sie ja Erbarmen mit mir und weihen mich ein.“
Die Frau, die ein purpurrotes Gewand trug, das in Lukes Augen eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Bettlaken aufwies, musterte ihn eindringlich. Dann nahm sie seinen Arm. „Begleiten Sie mich zu meinem nächsten Workshop?“
Luke ging bereitwillig mit, angetrieben sowohl von seiner Neugier als auch von der entschlossenen Hand auf seinem Bizeps. Sie lotste ihn durch die Tür, durch die April entfleucht war, auf den mit Teppich belegten Flur.
„Sie wissen nicht, wer ich bin“, sagte seine Entführerin. „Ich bin Julianne Cazenave, eine dieser ,verdammten kritzelnden Frauen’ wie Dickens uns zu nennen beliebte. Und ich habe den Verdacht, dass Sie der Mann sind, der April den Schlaf raubt.“
„Das bezweifle ich“, erwiderte er trocken. „Ich passe nur heute auf sie auf.“
„Das weiß ich,
cher
. Ich kann Ihnen versichern, dass es jeder weiß, und zwar von dem Moment an, in dem Sie zur Tür hereinkamen. Sie sind ein mächtiger Impuls auf dem Radarschirm dieser Konferenz. Ich bin mir sicher, dass April es bereut, Sie hierher gebracht zu haben, oder es zumindest tut, noch ehe der Tag vorbei ist. Aber warum hat sie es eigentlich gemacht?“
„Weil ich kommen wollte und sie nicht wusste, wie sie mich aufhalten soll.“
Sie kniff leicht die Augen zusammen. „Wirklich? Ich hatte also Recht. Sie sind Luke Benedict, stimmts?“
„Woher wissen Sie …?“
„Ich kenne April schon viele Jahre“, erwiderte sie ausweichend, ohne ihn aus den Augen zu lassen. „Wie … interessant.“
Er hatte nicht die Absicht, in die Gesprächsfalle zu gehen, die sie ihm mit ihrem Erzähl-mir-mehr-Tonfall zu stellen versuchte. Stattdessen sagte er: „Verraten Sie mir jetzt, warum April gemein war?“
„Weil sie es war,
cher
. Muriel Potts arbeitet nicht nur als freiberufliche Lektorin, sondern verdient sich hin und wieder
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