Benedict-Clan "Der Mitternachtsmann"
an Lukes Ohr, noch ehe er dazu kam, das Dinghi am Landungssteg von Chemin-a-Haut zu vertäuen. Es war Roan, der die Frage vom Ufer aus gestellt hatte, wo er breitbeinig, die Hand verdächtig nah am Colt, stand. Luke konnte seinem Cousin seine Verärgerung oder Sorge nicht verdenken; er erinnerte sich noch sehr gut, beides genauso gefühlt zu haben, als er entdeckt hatte, dass Kane sich mit Regina davongemacht hatte. Er hatte nur nicht erwartet, für seine Handlungen geradestehen zu müssen, bevor er sich eine passende Geschichte zurechtgelegt hatte.
Lakonisch antwortete er schließlich: „Dort, wo es sicher ist.“
„Und wo ist das?“
„Das brauchst du nicht zu wissen.“
„Falsch.“
„Das glaube ich nicht“, gab Luke geduldig zurück. „Niemand braucht es zu wissen. Punkt.“
Roan dachte gar nicht daran, sich damit zufrieden zu geben. „Will sie dort sein?“
„Wie kommst du denn auf die Idee, es könnte anders sein?“
„Zeugen haben gesehen, wie du sie vom Explosionsort weggezerrt hast.“ Die Augen seines Cousins glänzten so hart und hell wie das Polizeiabzeichen auf seinem Hemd.
„Gut, dann sagen wir, dass sie sich langsam an die Vorstellung gewöhnt.“ Zumindest hoffte Luke das nach der vergangenen Nacht. Den ganzen Tag mit ihr zu kämpfen und die ganze Nacht Liebe mit ihr zu machen schien kein besonders gut funktionierendes Programm zu sein.
„Du solltest lieber hoffen, dass sie froh und glücklich darüber ist, wenn ich mit ihr spreche. Falls es anders sein sollte und du zu weit gegangen bist, gehört dein Hintern mir.“
„Hör zu“, begann Luke und kniff die Augen zusammen, als er Wut in sich aufsteigen fühlte.
„Sieh dich vor, wenn du mir ins Gesicht springst, Freundchen, ich bin nämlich nicht in der Stimmung“, fiel Roan ihm ins Wort. „Ich habe Verrückte am Hals, die wild in der Gegend herumballern, Yachten, die in die Luft fliegen, und einen unglücklichen Bürgermeister, der mir die Ohren voll heult, weil sein großes Festival in die Hose gegangen ist. Ich habe Zeitungsleute am Hals, die etwas über die Welle der Kriminalität in unserer Stadt erfahren wollen, und Aprils Exmann, der mir auch die Ohren voll jammert, weil sie nirgends aufzufinden ist, und niemand, nicht einmal ihre Agentin, weiß, wo sie steckt. Und ich habe – oder hatte – einen blöden Cousin am Hals, der auch vermisst wurde, und ich musste mir Sorgen machen, dass er sich aus reiner Blödheit womöglich selbst erschossen, ertränkt oder in die Luft gejagt hat. Oder dass er sonst irgendwas wirklich Hirnrissiges angestellt hat, wie zum Beispiel April zu entführen, was bedeuten würde, dass ganze Schwärme gelackter Idioten in Button-down-Hemden über mich herfallen. Du hast Glück, dass du noch auf deinen beiden Beinen stehst, Cousin. Mach mir noch ein paar Probleme, dann ändert sich das schlagartig.“
Die Besorgnis, die man unter dieser Tirade heraushörte, dämpfte Lukes Wut ein bisschen. An seinen Mundwinkeln zerrte ein Grinsen, als er fragte: „Und was ist, wenn ich sie tatsächlich entführt habe?“
Roan überhörte die offensichtliche Provokation und sagte: „Da du in so guter Stimmung bist, halte ich es für das Beste, wenn ich dir ihren Exmann überlasse. Außerdem kannst du dich um eine äußerst lästige Frau namens Cazenave kümmern. Jetzt, nachdem ich dein Wort habe, dass April gesund und munter und unbelästigt ist.“
„Und mein Wort reicht dir? Erstaunlich“, bemerkte Luke und fragte dann: „Warum ist Tinsley denn so aus dem Häuschen? Er ist doch längst Geschichte.“
„Vielleicht ist April ja die Liebe seines Lebens, und er macht sich immer noch Hoffnungen. Oder sie ist seine Essensmarke, und er hat Hunger. Oder vielleicht ist er einfach nur ein anständiger Bursche, der sich um eine Frau sorgt, die ihm früher einmal wichtig war. Woher zum Teufel soll ich das wissen?“
„Du hättest ihn fragen können.“
„Frag ihn doch selbst, wenn’s dich interessiert. Ich habe andere Dinge im Kopf. Zum Beispiel, warum du mit ihr verschwunden bist.“
„Du wusstest nicht, dass sie bei mir war, woher …“
„Sie wurde zuletzt gesehen, als sie in deiner Begleitung das Fest verließ, wie ich schon sagte, und ihr Auto steht vor deinem Haus. Und ich weiß, wie du gestrickt bist.“
„Du hättest ebenso gut wissen müssen, dass ich zurückkomme, um allen zu erzählen, was los ist. Du warst der Erste auf meiner Liste, obwohl ich es nett von dir finde, dass du es mir erspart
Weitere Kostenlose Bücher