Benedict-Clan "Der Mitternachtsmann"
April“, sagte er in einer Mischung zwischen Lachen und Aufstöhnen. „Du denkst wirklich zu viel.“
„Und du denkst vielleicht nicht genug.“ Sie schaute verärgert weg.
„Es ist keine Vernunftentscheidung. Man muss sich von seinen Gefühlen leiten lassen.“
„Das habe ich früher auch versucht und schau, was es mir gebracht hat.“
„Was denn?“ In seiner Stimme schwang Neugier mit.
Sie verschränkte die Arme über der Brust und sagte: „Eine verlorene erste Liebe und eine Ehe, die eine Katastrophe war, und eine sich ihrem Ende zuneigende Karriere als Liebesromanautorin.“
„Das kann ich nicht beurteilen“, gab er bedächtig zurück. „Aber es könnte genau im Gegenteil davon kommen, dass du immer zu viel gedacht hast, statt deinen Gefühlen zu folgen.“
„Das ist eine hübsche klare Antwort, nicht wahr?“ sagte sie und drehte ihm wieder den Rücken zu. „Und was fühlst du, wenn du bei diesem Wetter draußen schlafen willst, wo du doch in Gefühlsdingen angeblich so ein Experte bist?“
Er zuckte die Schultern. „Ich kann es nicht mit Worten ausdrücken. Oder will es nicht versuchen.“
Sie fahndete in seiner Stimme nach Hinweisen, aber sie fand keine. „Das ist keine Antwort.“
„Also gut“, sagte er nach einem Moment angespannten Schweigens. „Vermutlich kommt es mir vor, als ob ich die Situation ausnutzen würde, okay? Ich habe dich zu etwas gedrängt, wozu du noch nicht bereit warst. Ich habe das Gefühl, es ist besser, wenn ich mich ein bisschen zurückhalte, bis du dich an den Gedanken gewöhnt hast.“
„Das ist sehr …“
„Dumm?“ ergänzte er, als sie sich unterbrach.
„Großzügig“, stellte sie richtig. „Und verständnisvoll.“
„Täusch dich nicht. Ich habe nicht aufgegeben.“
In seinem trockenen Ton schwang ein willkommener Anflug von Humor mit. „Das habe ich auch nicht geglaubt.“
„Fein“, sagte er ruhig, während er Midnight von seinem Schoß hob und auf die Bank setzte. „Hauptsache, wir wissen, wie wir dran sind.“
Darauf hatte April keine Antwort. Aber das machte nichts, da Luke ohnehin keine erwartete. Er stand auf und ging zu der Reling, wo er aus seinen Schuhen schlüpfte und sein Hemd und seine Jeans auszog. Dann kletterte er über die Reling und sprang kopfüber ins Wasser. Es dauerte lange, bis er wieder auftauchte, tatsächlich so lange, dass April aufstand und mit Blicken die dunkel schimmernde Wasseroberfläche zu durchdringen suchte. Als schließlich sein Kopf nass und glänzend wie der Kopf eines Seeotters wieder hochkam, seufzte sie erleichtert auf.
Luke warf sich zum Boot herum, so dass das Wasser nach allen Seiten hoch aufspritzte, und schob sich mit einer Hand die triefenden Haare aus den Augen, während er Wasser trat. Dann rief er ihr zu: „Wirf mir die Seife rein, okay? Oder bring sie mir.“
April glaubte in seinen Stimme einen leichten Anflug von Herausforderung mitschwingen zu hören. Aber sie war nicht so töricht, darauf zu reagieren, diesmal nicht. Nachdem sie die Seife geholt hatte, stand sie damit da und war stark versucht, ihm das Seifenstück an den Kopf zu werfen. Aber das Risiko, dass es verloren ging, war zu groß, und sie war sich nicht sicher, ob es außer dem kleinen Stückchen im Bad, das sie benutzte, noch ein anderes an Bord gab. Deshalb zielte sie jetzt sorgfältig, warf ihm die Seife zu und beobachtete, wie er sie aus der Luft fing. Dann drehte sie sich um und ging in die Kabine.
Eine Weile später, nachdem sie sich, auf der Bootsleiter stehend, schnell im See gewaschen hatte und dann ins Bett gegangen war, spürte sie, wie das Boot schaukelte, als Luke wieder an Bord kam. Sie war nicht überrascht, dass es so lange gedauert hatte. Als sie ihn vorhin zum letzten Mal gesehen hatte, war er mit kräftigen Stößen auf den schmalen Zugang zu- und dann auf den offenen See hinausgeschwommen, als ob er vorhätte, sich von dort aus das Wetterleuchten anzuschauen. Das hatte nichts Gutes für seine Laune ahnen lassen, aber auf diese Weise konnte er wenigstens seine überschüssige Energie loswerden. Die Frage war jetzt nur, ob es auch genug gewesen war.
Sie spannte sich an, aber er kam nicht in die Kabine. Ganz langsam entspannte sie sich wieder. Doch sie schaffte es nicht einzuschlafen. Sie beobachtete durch das Fenster über ihrem Kopf, wie der Himmel in Abständen immer wieder hell wurde, und lauschte dem entfernten Donner. Es klang wie der unregelmäßige Herzschlag der Erde.
Sofort überlegte
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