Benny und Omar
eine kleine Berühmtheit. Seine Haare hatten sich offenbar ganz von allein den Frisuren der anderen Schicki-Micki-Neunjährigen angepasst. Benny dagegen spürte, wie sich eine tiefe Kluft zwischen ihm und den anderen auftat. Er schloss sich den größeren Kindern an und schlurfte als Letzter hinter ihnen her.
Benny knüpfte sofort an die alte Tradition an herauszufinden, wie weit er den Lehrer bringen konnte. Irgendwo in der Bibel stand geschrieben, dass man am ersten Tag wählen musste oder ausgewählt wurde.
»Also gut, Kinder«, sagte die Direktorin. »Zum Aufwärmen ein bisschen Sprachkunde.«
»Ähmmm … Miss?«
»Harmony, bitte.«
»’tschuldigung, Harmony?«
»Ja, Benny?«
»Was für eine Sprache denn?«
Harmony trat zu ihm und zauste ihm das Haar. »Englisch, natürlich.«
»Aber Englisch ist doch die Sprache der Unterdrücker und so.«
»Das ist schon in Ordnung so. Wir verändern einfach die Aussprache ein wenig und nennen es Amerikanisch.«
Nicht schlecht, dachte Benny widerwillig. Zeit für ein taktisches Rückzugsmanöver.
»Kann ich zum stillen Örtchen?«
Harmonys Lächeln wurde noch strahlender. »Zur Toilette, meinst du? ›Stilles Örtchen‹ ist lächerlich. In den Staaten sagen wir auch ›gewisses Örtchen‹. Mir persönlich ist das nette Wort ›Klo‹ am liebsten. Wir wollen doch die anderen Jungs nicht beschämen.«
Benny warf einen Blick in die Runde. Die anderen Jungen schauten ein wenig verlegen drein.
»Geh nur, Benny. Aber komm heute noch wieder zurück, sonst muss ich das FBI alarmieren.«
Das war auch nicht schlecht. Die Frau hatte Sinn für Humor.
Es saß auf dem Klo und grübelte. Diese Rossi versuchte, ihn mit Freundlichkeit dranzukriegen. Benny hatte von dieser Taktik gehört, sie aber noch nie am eigenen Leib erfahren. Er würde sich etwas ganz Gemeines ausdenken müssen, damit sie ausflippte. Benny hätte nicht sagen können, warum er dieses Ritual durchspielen musste. Es war Tradition. Beide Seiten mussten sich den Respekt voreinander verdienen.
Benny stampfte die Treppe hinauf und stieß die Tür zum Klassenzimmer möglichst geräuschvoll auf. Niemand blickte auch nur auf. Alle arbeiteten emsig in ihren Büchern. Das war völlig unnatürlich. Schüler nahmen normalerweise begeistert jede Gelegenheit wahr, sich ablenken zu lassen. Mrs Rossi schritt zwischen ihren Schützlingen hindurch, strich über Köpfe und lächelte liebevoll. Das war wieder dieses Getue mit den positiven Gefühlen. Harmony schien diese Idioten wirklich zu mögen. Benny lächelte boshaft. Jetzt war ihm auf einmal klar, wie er die Hippie-Frau zum Platzen bringen konnte. Mit ihren eigenen Waffen würde er sie schlagen. Das war vielleicht grausam, aber unserem Held war die Vorstellung völlig fremd, zum Lernen in die Schule zu gehen. Jedenfalls nicht freiwillig. Seiner Erfahrung nach waren Lehrer dazu da, ihm unter Zwang Unmengen nutzloser Informationen einzutrichtern. Beispielsweise quadratische Gleichungen. Und als Schüler war er verpflichtet, sich mit jeder Faser seines Körpers dagegen zu wehren, solch wertloses Wissen aufzunehmen.
»Ja, Bernard.«
»Benny.«
»Benny. Ich glaube, du hattest jetzt genug Zeit, dich zu orientieren. Vielleicht magst du dich jetzt am Unterricht beteiligen?«
»Okey dokey.«
»Gut, mein Junge. Wir haben uns gerade über die Familie unterhalten. Dann sag uns bitte, was du mit dem Wort ›Mutter‹ verbindest.«
Benny legte angestrengt die Stirn in Falten. »Eine Mutter, ähm … eine Mutter ist das Gegenstück einer Schraube.«
»Wie bitte?«
»Das Gegenstück einer Schraube«, wiederholte Benny, »damit sie nicht rausrutscht.«
Harmony bewahrte ihre freundliche Miene, aber hinter ihrer Stirn ratterte es. War dieser irische Junge wirklich so dumm? Sie hatte ja so manche Geschichten gehört, aber gedacht, das sei nur schlechte Presse.
»Nein, Benny. Ich meinte die Frau, die dich geboren hat.«
»Ach so«, sagte Benny und ließ die Zunge ein wenig aus dem Mund hängen.
Das blonde Mädchen kam ihm zu Hilfe und beantwortete die Frage mit einem netten schottischen Akzent.
»Danke, Grace«, sagte Harmony.
Später lösten sie gemeinsam ein Kreuzworträtsel.
»Also … geworfene Waffe der nordamerikanischen Indianer. Die ersten vier Buchstaben sind T … O … M … A. Ja, Benny?«
Benny biss sich auf die Lippen: »Vielleicht … Tomaten?«
Harmony wurde langsam argwöhnisch. Benny sah, wie ihr heißblütiges europäisches Erbe die Überhand
Weitere Kostenlose Bücher