Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
gemacht.«
»Wir haben alle jemanden verloren, Dr. Crowe. Ich bin nicht gekränkt. Wie auch immer, meine Mutter und mein Vater fanden es ungeheuer wichtig, daß wir dort Ferien machten, weil es half, uns zu jungen Männern zu formen; deswegen habe ich etwas Geld aus ihrem Vermögen für den Kauf verwendet. Der Preis war damals sehr günstig. Ich fand es jammerschade, daß es niemand weiterführte, und außerdem hielt ich den Erwerb für ein passendes Andenken an meine Eltern. Sind Sie je dort gewesen?«
»Nein«, sagte Janie. »Aber ich würde gern hinfahren. Nur in letzter Zeit bin ich etwas leichtsinnig mit meiner Benzinration umgegangen. Jetzt muß ich ein wenig sparen.«
»Oh! Nun, leider fahren bisher noch keine Busse dorthin.«
»Das ist vielleicht gar nicht so ungünstig. Aber Ihre Website finde ich sehr anschaulich, daher habe ich eine Vorstellung von der Anlage.«
»Das Camp als solches, ja. Es ist eine gute Darstellung dessen, wie es dort aussieht, welche Einrichtungen es gibt – aber das, was es wirklich zu etwas Besonderem macht und was die Bilder nicht vermitteln, ist die Atmosphäre von Spiritualität. Das Programm hat sich nie ausschließlich auf Religion konzentriert. Es war subtiler. Vielleicht – Gemeinschaft. Etwas, was wir auf dieser Welt anscheinend nicht mehr haben. Aber dieses Bewußtsein ist dort entstanden, ob Sie es glauben oder nicht.« Eine liebgewordene Erinnerung fiel ihm ein, und er erzählte Janie davon. »Meine Mutter sagte immer, wenn ich ins Camp Meir ging, ich sei schon vorher ein netter Junge gewesen, aber ich käme jedesmal noch netter zurück.«
»Nun, bei einem Jungen im Teenageralter will das wirklich etwas heißen«, meinte Janie.
»Wem sagen Sie das«, erwiderte Davis. »Ich habe selbst einen Sohn in diesem Alter. Er kann ein richtiger Kotzbrocken sein.«
Natürlich würde dieser Junge auch im Lager gewesen sein …
Sie rechnete zurück. »Wie alt ist Ihr Sohn, Mr. Davis?«
»Er ist jetzt siebzehn. Obwohl er gern so tut, als sei er dreißig. Ich versuche ihn ständig zu bremsen beim Erwachsenwerden.«
»Hat er das Camp besucht, bevor Sie es übernommen haben?«
»Ja.«
»War er in dem Sommer da, in dem die Angst vor Giardia umging?«
Davis schien unmerklich zu zögern, bevor er antwortete. »Das war vor unserer Zeit.« Er räusperte sich. »Meine Frau und ich hatten in dem Jahr einige Probleme. Sie fuhr mit den Kindern den ganzen Sommer nach Maine zu ihrer Familie. Das erschien zu dem Zeitpunkt als das einzig Richtige.«
Sie werden vielleicht nie erfahren, wie richtig das war! »Nun, Kids sind sehr anpassungsfähig.«
»Sie sagen es. MR Sam brachte uns wieder das Wesentliche vor Augen, und es gelang uns endlich, ins reine zu kommen. Wir sind noch immer zusammen, kann ich zu meiner Freude berichten.«
»Das ist wirklich positiv!«
»Mein Sohn ging dann auch ins Camp, nachdem wir es gekauft hatten. Ich bin nicht sicher, ob er es so zu schätzen wußte wie wir. Er war zu sehr damit beschäftigt, ein Junge des neuen Jahrtausends zu sein. Aber nun genug von meiner faszinierenden Geschichte.
Sie sagten, Sie würden sich für einige der alten Berichte interessieren.«
Gut, daß er endlich auf das Thema kam, dessentwegen sie ihn angerufen hatte. Nicht, daß sie die Ausbruchs-Nostalgie störte – es war fast Teil des neuen Stils einer Einleitung – sozusagen als Begrüßung. »Ja, allerdings aus der Zeit vor Ihrer Übernahme, aus dem Sommer, in dem die Angst vor Giardia umging. Ich habe mit der Pflege eines der früheren Besucher zu tun; es handelt sich um einen Jungen namens Abraham Prives. Er hatte einen verheerenden Unfall, und ich – arbeite mit seiner Mutter zusammen.«
»Was ist ihm denn passiert?«
»Er ist beim Fußballspielen mit einem anderen Jungen zusammengeprallt und hat einen schweren Wirbelsäulenbruch erlitten.«
Am anderen Ende der Leitung herrschte totales Schweigen. Janie dachte einen Moment lang, die Verbindung sei unterbrochen.
»Mr. Davis? Sind Sie noch da?«
»Ja«, sagte er nach kurzem Zögern. »Ja, natürlich.« Sein Ton war leiser, fast nachdenklich. »Ich bin nur einigermaßen schockiert. So etwas ist der schlimmste Alptraum aller Eltern.« Dann schien er sich ein wenig zu fangen und fuhr fort: »Aber ich fürchte, ich muß Sie enttäuschen, Dr. Crowe. Die Unterlagen aus dieser Zeit sind absolut unvollständig. Die Berichte wurden auf Papier festgehalten, verstehen Sie, und als das Camp geschlossen wurde, gab es einigen
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