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Beobachter

Beobachter

Titel: Beobachter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Link
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Entscheidende noch nicht gesagt und war nicht sicher, ob Palm es bereits wusste. Er hatte nichts durchblicken lassen.
    »Es gibt da noch etwas«, sagte sie zögernd.
    »Ja?«
    »Sie wollten wissen, weshalb ich verkaufe, und mögliche Käufer werden das auch fragen. Ich sagte Ihnen ja, dass mein Mann gestorben ist und ich daher in die Nähe meiner Eltern ziehen will. Die Wahrheit ist – er ist nicht einfach gestorben. Er …« Sie sprach nicht weiter.
    Palm nickte. »Ich weiß. Ich hatte das bei Ihrem Anruf nicht sofort begriffen, aber es wurde mir klar, als ich überlegte, weshalb mir Ihr Name bekannt vorkommt. Es stand in irgendeiner Zeitung. Ich weiß, Ihr Mann …«
    »Er wurde ermordet. Ich habe ihn hier, in diesem Zimmer, gefunden.«
    Palm sah sich beklommen um. »Verstehe.«
    »Es wird manchen möglichen Käufer sicher abschrecken.«
    »Wir müssen es nicht sagen«, meinte Palm, »und wenn es jemand von selbst herausfindet und dann abspringt, können wir es nicht ändern. Keinesfalls müssen wir es gleich erwähnen.«
    Gillian nickte. »Danke. Das war der Grund, weshalb ich Sie als Makler wollte. Ich dachte, Sie verstehen das alles besser. Weil Sie ja irgendwie auch … ein gebranntes Kind sind.«
    Beide schwiegen sie, hingen ihren Gedanken nach, die sich um die absurden Konstellationen drehten, in die Menschen in ihrem Leben geraten konnten. Palm sagte sich, dass es schon seltsam war, auf welchem Weg er plötzlich zu einem Makler geworden war, der auf Häuser, in denen Gewaltverbrechen verübt wurden, spezialisiert zu sein schien. Und Gillian dachte, dass sie jeden für verrückt erklärt hätte, der ihr noch vor wenigen Wochen diese Situation prophezeit hätte: Dass sie ihr Haus verkaufen und nach East Anglia zurückgehen würde und dass sie für all dies einen Makler aussuchen würde, dem sie ihre spezielle Situation nicht erklären musste, da er bereits selber ein Mordopfer gefunden hatte und durch das gesamte sich anschließende seelische Chaos gegangen war.
    Sie begleitete ihn zur Tür, sie verabschiedeten sich voneinander, und sie sah Palm nach, der noch bevor er die Straße erreicht hatte, wo sein Wagen parkte, vom Schneetreiben verschluckt wurde.
    Wie ein Vorhang, dachte sie schaudernd.
    Ihr Blick fiel auf den Eimer mit Vogelfutter, der neben der Tür stand. Sie hatte heute völlig vergessen, das Vogelhaus aufzufüllen, und sie wusste auch nicht, ob die Vögel nach Einbruch der Dunkelheit überhaupt noch zum Essen kommen würden, aber die Chance, etwas zu finden, wollte sie ihnen jedenfalls geben. Seufzend schlüpfte sie in ihre Stiefel, zog ihre Jacke über, nahm den Eimer und stapfte um das Haus herum. Es war inzwischen völlig dunkel.
    Es war nicht einfach, sich vorwärtszukämpfen. Gillian sank bis über die Knie in den Schnee. Die Stiefel nützten praktisch nichts, ihre Hose war schnell patschnass, und sie würde sie später wechseln müssen. Außerdem sah sie fast nichts. Als sie das Vogelhaus erreicht hatte und sich umdrehte, konnte sie kaum mehr ihr eigenes Haus erkennen. Diffus nahm sie nur den Lichtschein aus der Küche wahr.
    Sie schaufelte mehrere Hände voller Futter unter die Überdachung und war froh, dass sie sich überwunden hatte: Der gestrige Vorrat war völlig aufgebraucht, es gab kein einziges übrig gebliebenes Korn mehr.
    Den Griff des Eimers in den klammen Fingern trat sie den Rückweg an. Schnee taute in ihren Haaren und lief ihr über das Gesicht. Der wilde Tanz der Flocken ließ sie fast schwindelig werden. Sie tastete sich den Weg am Haus entlang und atmete erleichtert auf, als sie die Tür erreichte, aus der ein freundlicher Lichtschein nach draußen fiel. Helligkeit, Wärme, Trockenheit. Sie kam sich vor wie nach einer Wanderung durch die Arktis, dabei war sie nur in ihrem Garten gewesen. Sie schloss die Tür, sperrte den Schnee, die Kälte, die einfallende Nacht aus.
    Im Spiegel, der hier im Eingang hing, konnte sie ihren seltsamen Aufzug bewundern: eine Schneemütze auf dem Kopf, klatschnasse Haare darunter, Schnee auf ihren Armen und Schultern, durchweichte Jeans. Sie schälte sich aus ihrer Jacke, bückte sich dann und zog sich die Stiefel von den Beinen. Alles war nass. Als sie sich wieder aufrichtete und dabei mit ihrem Blick den Spiegel erneut streifte, meinte sie, im Hintergrund eine Bewegung wahrzunehmen.
    In der Küche.
    Ein paar Sekunden lang verharrte sie völlig reglos. Es war wie ein Schatten gewesen, der im Bruchteil eines Moments vorüberglitt, und sie war

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