Beobachter
schrak zusammen, als plötzlich ein metallisches Geräusch durch den ganzen Wagen zu zucken schien. Was war das? Doch gleich darauf entspannte sie sich wieder. Gillian hatte mit der Fernbedienung des Schlüssels den Türöffner betätigt. Tara grinste. Wie gut, dass sie den Wagen von innen verschlossen hatte. Gillian musste nun davon ausgehen, dass das Auto die ganze Zeit über verriegelt gewesen war. Sie würde es für unmöglich halten, dass sich Tara im Inneren des Wagens befand.
Komm , flüsterte sie lautlos, komm rein. Setz dich ans Steuer. Nun mach schon.
Sie vernahm das Knirschen von Schritten im Schnee. Sie hielt den Atem an. Verschmolz mit dem Sitz und mit der riesengroßen, faltigen Decke. Wurde klein. Unsichtbar.
Die Fahrertür wurde geöffnet.
Tara hielt das Messer und die Drahtschlinge fest in beiden Händen.
14
Sie hatte den Weg diesmal schneller zurückgelegt, trotz ihrer Erschöpfung, getrieben von ihrer Angst. Gillian atmete auf, als sie endlich das Auto sah. Sie war nicht erstaunt, es noch vorzufinden, denn wie hätte Tara es in Bewegung setzen sollen? Ihre Schritte wurden jedoch langsamer und vorsichtiger. Da sie Tara auf der gesamten Strecke nicht gesehen hatte, war sie zu der Erkenntnis gelangt, dass diese nicht versucht hatte und nicht versuchen würde, sich den Schlüssel zu holen. Vermutlich hatte sie sich zu Fuß auf den Weg gemacht.
Sie musterte den Wagen eine Weile aufmerksam, aus sicherem Abstand heraus. Sie sah viele Spuren im Schnee, die wahrscheinlich noch von ihrem und Taras Aufbruch am Nachmittag herrührten. Womöglich waren aber auch frische Spuren von Tara dazugekommen. Sicherlich hatte sie erst vor dem Auto stehend festgestellt, dass sie den Schlüssel nicht mehr besaß. Gillian stellte sich vor, wie sie immer hektischer, schließlich fast panisch in ihrer Tasche gewühlt hatte. Es musste ein schrecklicher Moment für sie gewesen sein: so dicht am Ziel. Und doch völlig hilflos.
Nichts regte und rührte sich, und schließlich richtete sie den Schlüssel auf den Wagen und betätigte den Öffner. Die Lichter flammten für eine Sekunde auf, die Türen öffneten sich. Wären sie nicht abgeschlossen gewesen, hätte das Geräusch, wie Gillian wusste, anders geklungen. Gut. Niemand hatte in der Zwischenzeit den Wagen geöffnet.
Sie näherte sich langsam.
Als sie die Fahrertür erreichte, ließ sie ihren Blick über das Innere des Autos gleiten. Sie hatte geglaubt, die Taschenlampe benutzen zu müssen, aber inzwischen war der Nachthimmel völlig klar, und das Licht des Mondes, noch dazu reflektiert von den Schneefeldern ringsum, gab genügend Helligkeit.
Das Auto war leer. Auf dem Rücksitz lag die Wolldecke, in dicken, aufgeworfenen Falten.
Sie öffnete die Tür.
Sie klopfte den Schnee von den Stiefeln, während sie einstieg. Sie sank hinter das Steuer, steckte den Schlüssel ins Schloss. Zweimal misslang es, weil ihre Finger von der Kälte so klamm und unbeweglich waren. Beim dritten Mal endlich wurde ihr zittriges Stochern von Erfolg gekrönt. Sie drehte ihn herum. Der Motor sprang stotternd an, erlosch dann aber gleich wieder.
Die Kälte wahrscheinlich. Tara hatte manchmal erwähnt, dass ihr Wagen bei großer Kälte Startschwierigkeiten hatte.
Komm schon, spring an!
Auch der zweite Versuch schlug fehl. Aus Erfahrung mit ihrem eigenen Auto wusste sie, dass man in solchen Fällen am besten eine Minute wartete. Meistens klappte es dann. Sie ließ sich zurücksinken, lehnte den Kopf an die Stütze. Sie zwang sich zur Ruhe. Die Anspannung ließ ihren ganzen Körper zittern. Sie hatte es fast geschafft. Hatte sich aus der gefährlichsten und kritischsten Situation ihres ganzen bisherigen Lebens befreit. Jetzt musste nur noch das Auto anspringen, dann war sie endgültig in Sicherheit.
Hör auf zu zittern! Du hast gewonnen!
Sie wurde das Gefühl einer Gefahr nicht los. Irgendetwas ließ ihr Herz rasen. Jagte ihr Schauer über die Arme. Schickte ganze Ströme von Adrenalin durch ihren Körper. Es war fast schlimmer als zuvor. Als sie noch draußen vor dem Auto gestanden hatte, war sie nicht so unfassbar heftig von Angst und Entsetzen gepeinigt worden.
Werd jetzt nicht hysterisch!
Sie wollte sich gerade nach vorne beugen und zum dritten Mal versuchen, den Motor anzulassen, da begriff sie plötzlich. Ihr Instinkt hatte die Erkenntnis längst gehabt, ihr Gehirn hatte länger gebraucht: die Decke. Die alte, kratzige Wolldecke. Sie hätte im Kofferraum liegen
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