Beobachter
nicht allzu neidisch zu klingen. Bartek war einfach ein Glückspilz. Immer, in jeder Hinsicht. Sie hatten einander kennengelernt, als Samson noch nicht Tiefkühlkost ausgefahren, sondern für einen Limousinenservice gearbeitet hatte. Bartek war dort ebenfalls angestellt gewesen, und im Unterschied zu Samson hatte er keine Kündigung bekommen. Einer wie Bartek wurde nicht entlassen. Ihn mochten die Menschen zu sehr, angefangen vom Chef über die Angestellten bis hin zu den Kunden. Bartek hatte immer viele gezielte Anfragen bekommen, wenn ein Wagen gebucht wurde. Können wir Bartek haben? Können wir diesen total netten Polen haben?
Bartek sprach perfekt Englisch, hatte aber einen charmanten osteuropäischen Akzent, der besonders bei Frauen gut ankam. Er verstand es, die Leute zu unterhalten, indem er einfach ein paar – zumeist wild erfundene – Geschichten aus seinem Leben berichtete und damit oft atemlose Spannung erzeugte.
Samson, der nächtelang wach lag und sich mit der Frage herumschlug, weshalb er von den Frauen beharrlich übersehen und bei jeder Kündigungswelle als Erster erfasst wurde, hatte oft überlegt, ob es daranlag: an seiner eigenen geradezu grotesk langweiligen Biografie. Was hatte er Interessantes zu erzählen? Oder an seinem Namen. Wer hieß schon Samson? Wenn er seinen verstorbenen Eltern etwas nicht verzieh, dann den Umstand, dass sie ihm diesen Namen gegeben hatten. Seine Mutter hatte während der Schwangerschaft ein Buch gelesen, in dem ein Samson vorkam, und sie hatte den Namen toll gefunden. Samsons zwei Jahre älterer Bruder hatte mehr Glück gehabt. Gavin konnte man heißen, ohne dass man deswegen die ganze Schulzeit hindurch gehänselt wurde.
»Du musst mehr unter Menschen gehen«, sagte Bartek, »sonst findest du nie die Frau fürs Leben. Was machst du noch mal den ganzen Tag? Wenn du nicht daheim sitzt?«
Ich habe noch gar nicht erwähnt, was ich tagsüber mache , dachte Samson gereizt. Bartek hörte ihm manchmal nicht richtig zu. Na ja, es war ja auch nie sehr beeindruckend, was er zu berichten hatte.
Kurz überlegte er, ob es ratsam war, sich Bartek anzuvertrauen, aber er hätte so gerne mit jemandem gesprochen, und außer Bartek gab es niemanden. »In gewisser Weise«, sagte er geheimnisvoll, »gehe ich den ganzen Tag unter Menschen.«
»Ja? Was machst du?«
»Ich schaue mir das Leben anderer Menschen an.«
»Hä?«, machte Bartek.
»Ich laufe durch die Straßen. Immer zu bestimmten Zeiten. Und es ist sehr interessant… also, man findet eine Menge über die Menschen in der eigenen Umgebung heraus. Wie sie so leben. Ob sie allein sind oder eine Familie haben. Ob sie glücklich oder unglücklich sind. So etwas eben.«
Samson dachte plötzlich, dass er wahrscheinlich einen Fehler begangen hatte. Es war idiotisch gewesen, sich Bartek gegenüber zu öffnen. Er konnte es am Gesichtsausdruck des Freundes erkennen.
»Heißt das, du beschattest andere Leute regelrecht?«, fragte Bartek nach einer Weile, in der er offenbar versucht hatte, das Gehörte zu sortieren.
»Ich analysiere sie«, erklärte Samson.
»Wie – du analysierst sie? Was meinst du damit?«
»Ich versuche Dinge über sie herauszufinden. Warum jemand zum Beispiel alleine ist. Und wie er damit umgeht.«
»Und was bringt dir das?«
»Erkenntnisse.«
»Ja, aber wozu? Ich meine, was genau willst du eigentlich dabei herausfinden?«
Samson erkannte, dass es zwecklos war. Bartek würde ihn nicht verstehen. Vielleicht war das alles aber auch nicht zu verstehen.
»Also, ich bin zum Beispiel ja auch allein«, versuchte er es dennoch zu erklären, »und ich beschäftige mich viel mit der Frage, warum das so ist. Und da versuche ich herauszufinden, weshalb es anderen auch so geht wie mir.«
»Ja, aber sei mir nicht böse, das ist doch eine komplett … ja, irgendwie gestörte Methode! Warum gehst du nicht ins Internet? Da tummeln sich Tausende, die dasselbe Problem haben wie du. Da gibt es unzählige Foren, in denen du dich austauschen kannst.«
»Das mache ich ja auch«, gab Samson zu. »Aber es ist letztlich so anonym. Oft fühle ich mich doppelt einsam, wenn ich einen ganzen Nachmittag lang mit einem Typen gechattet habe, der fünfhundert Meilen von mir entfernt lebt und den ich gar nicht kenne, der aber zufällig auch keine Frau findet.«
»In der Hauptsache geht es bei dir aber schon um den Wunsch, eine Frau zu finden?«
»Ja. Auch darum.«
»Dann denkst du, du findest eine junge alleinstehende Frau, indem
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