Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers
Selbstwertgefühl, Verantwortungsbereitschaft sind Attribute des Leaders.
⢠Leadership nicht mit Verträgen festschreiben.
⢠Sensibilität.
⢠In kritischen Situationen bestehen.
⢠Gesinnungsethik.
⢠Ein Leader stiftet Selbstverständnis und durchschaut seine Leute; er nützt ihre Stärken und Schwächen; spürt, wer wann wie wächst.
⢠Für die führungslose Zeit am Ende der Machtpolitik fehlen charismatische Sinnstifter.
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»Ich bin weder alt noch jung, ich bin stark.«
Einer spricht für alle
Flug MünchenâPeking. Aus Neugierde heraus habe ich Günter Sturm, dem Ideator und Manager des Summit Club (DAV), versprochen, eine seiner Gruppen durch die Wüste Takla Makan (Sinkiang) zu »führen«.
Seit 20 Jahren erstmals wieder als Reiseleiter tätig zu sein ist befremdend für mich. Es geht nicht um einen Grenzgang, sondern um ein Gruppenunternehmen, wobei sich die Teilnehmer als Einzeltouristen zusammengefunden haben. Unsere »exotische« Reise war also im Prospekt angekündigt und käuflich.
Wie alle Touristen spazieren wir durch den Kaiserpalast und den Himmelstempel. Die Wege dazwischen legen wir mit dem Fahrrad zurück. Jeder Grenzgang ist Teamwork. Motivierte, qualifizierte Partner sind dabei ebenso wichtig wie Planung, Logistik und Tausende Kleinigkeiten. In der Takla Makan soll alles vorbereitet sein. Unser »Abenteuer« ist von Dritten organisiert.
Wir sind 14 Männer, eine bunt gemischte Gesellschaft, kennen uns kaum. Im Gegensatz zum Grenzgang, wo eine gute Idee und gute Leute der halbe Erfolg sind, braucht es bei meiner Gruppe eine Koppelung zwischen Individualismus (Rücksicht auf die anderen) und Kollektivismus (alle zusammen) als tragende Kultur.
In einer schwierigen Expedition ist eine motivierende Führungspersönlichkeit in der Lage, durchschnittliche Teilnehmer zu überdurchschnittlichen Leistungen anzuspornen.
Bei unserem Wüstentrip geht es darum, sensibel, zwanglos den Glauben zu vermitteln, dass wir durchkommen werden, allen Teilnehmern die Durchquerung zuzutrauen. Bei all meinen Expeditionen kam zur Askese in den Mitteln die Askese in der Machtausübung. Oft ging ich einfach nur voraus. Wenn ich trotzdem kein brauchbarer Leader bin, dann deshalb, weil sich andere neben mir so quälen müssen, selbst Stars zu bleiben. Meine Fähigkeit, Leistung anzuerkennen, ist begrenzt. Ich kritisiere zu viel und lobe zu wenig.
Flug nach Urumqi. Regen. Es dämmert, als wir ankommen. Im Hotel erfahren wir, dass »unser Programm« geändert worden ist. Ãber unsere Köpfe hinweg. Die Gruppe überlässt mir die Sprecherrolle beim Verhandeln mit den chinesischen Lokalorganisatoren. Ich übernehme sie und damit die Verpflichtung, »den Karren weiterzuschieben«.
Ich streite die halbe Nacht lang mit den Lokalveranstaltern, hole das vage Versprechen heraus, dass wir einen ernsten Versuch machen können, die Wüste zu durchqueren.
1.10.1992
Wieder droht der Lokalveranstalter in Urumqi, uns mit einem Kamelrundgang am Rande der Takla Makan abzuspeisen. Er behauptet strikt, die Durchquerung sei unmöglich. Vermutlich weil er vom übergeordneten Reiseveranstalter in Peking zu wenig Geld erhält. Die Chinesen fordern einen Aufpreis. Alle sind einverstanden.
Die Mannschaft steht einhellig zusammen. Das ist schon der halbe Erfolg. Wir einigen uns â wegen zu viel Wasser im Tarimbecken (angeblich) â auf einen ersten Kompromiss: die Tour von Süden nach Norden und nicht, wie ursprünglich geplant, von Norden nach Süden zu wagen.
Mit Chinesen verhandeln und sich dabei nicht »über den Tisch ziehen« zu lassen ist schwierig. Wenn die Mannschaft aber weiterhin so prompt reagiert, mitdenkt und zusammensteht, sind wir stärker als unser Gegenüber. Und dies, obwohl wir ein zusammengewürfelter Haufen sind.
Am Nachmittag Fahrt nach Turfan. Schneetreiben.
2.10.1992
Turfan. Nach einem Telefongespräch mit Bruno Baumann, der die Takla Makan 1989 durchquert, unsere Reise ausgearbeitet und die erste von zwei Gruppen geführt hat, ist klar, dass es trotz allem schwierig sein wird, die Gesamtdurchquerung zu realisieren. Baumann konnte mit seiner Gruppe wegen Zeitmangels nur eine Rundtour am Rande der Wüste unternehmen. Er warnt mich: »Die Lokalorganisatoren erfinden allerlei Ausreden, Jeepfahrer und Kameltreiber sperren sich, weil
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