Berger, Fabian
Erschütterung über den Tod des Sohnes noch mal deutlich gemacht. Durch sein Verhalten hatte sie sich zu einer Verpflichtung hinreißen lassen, von der sie nicht wusste, ob sie überhaupt einzuhalten war. Sie hatte ihm nichts Konkretes zugesagt, doch durch ihre Zustimmung hatte sie ihm vermutlich neue Hoffnung gemacht. Tatsächlich jedoch hatte sie nichts in der Hand außer einem einzigen Hinweis. Selbst wenn sie sich nicht allzu viel davon versprach, würde sie dennoch der Sache nachgehen.
Der Aufzug beförderte sie in die zweite Etage, auf der die Arbeitskollegin des zweiten Opfers weiterhin stationär behandelt wurde. Bei einem Telefonat mit dem Krankenhaus hatte Hannah erfahren, dass Dagmar Giesen noch nicht entlassen worden war. Sie schritt durch den langen Flur und erreichte schließlich das Zimmer. Die Tür stand halb offen und Hannah trat ein. Die Frau lag in ihrem Bett. Zwei Tauben leisteten ihr auf der außen liegenden Fensterbank Gesellschaft. Die beiden anderen Betten des Zimmers waren nicht belegt. Als die Tür ins Schloss fiel, fuhr sie herum. Ihre Augen waren von dunklen Ringen umsäumt und ihre Stirn lag in Falten. Die Infusionsnadel hatte einen Bluterguss in ihrer Armbeuge hinterlassen und schien sie bei jeder kleinsten Bewegung zu schmerzen. Hannah schob einen Stuhl heran und setzte sich.
»Sie schon wieder«, kommentierte Frau Giesen Hannahs Besuch.
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie ein weiteres Mal stören muss.«
»Ach, ist schon gut. Sie können ja nichts dafür. Es ist nur so, dass Tobias und ich uns immer so gut verstanden haben. Einen Tag zuvor hatten wir noch zusammen gegessen, in der Kantine, und über diverse Dinge herzlich gelacht. Er hat gerne gelacht.« Tränen füllten ihre Augen. »Und nun ist er tot. Die Bilder gehen mir einfach nicht mehr aus dem Kopf.« Sie wandte sich von Hannah ab.
»Sie haben erzählt, dass Herr Behrens sich einer Therapie unterzogen hatte. Wissen Sie vielleicht mehr darüber?« Hannah bemühte sich, so einfühlsam wie möglich zu sein.
»Ich habe Ihnen bereits alles gesagt, was ich weiß. Tobias hat nie viele Worte darüber verloren. So sehr es mich auch interessiert hat, merkte ich doch, dass er nicht weiter darüber reden wollte. Ich habe das respektiert.«
Hannah ahnte, dass ihre Hoffnung auf weitere Informationen aussichtslos war. Sie versuchte es dennoch. »Wissen Sie, wer die Therapie bei ihm durchgeführt hat?«
»Nein«, antwortete Dagmar Giesen. »Darüber hat er sich immer ausgeschwiegen. Warum, weiß ich nicht. Aber ich denke, er wird wohl seine Gründe dafür gehabt haben.«
»Hat er womöglich vom Forschungsinstitut für Neurologie gesprochen?«
»Nein. Jedenfalls nicht mit mir.« Unruhig stemmte sie die Arme auf die Matratze und drückte ihren Körper etwas nach oben. »Wenn Sie mich nun entschuldigen.« Sie deutete mit einem Kopfnicken auf die Tür der Toilette.
Hannah erhob sich von ihrem Stuhl und stellte ihn zurück an seinen Platz. »Natürlich. Das war auch schon alles.« Sie wandte sich zum Gehen. Kurz bevor sie das Zimmer verließ, rief die Frau ihr hinterher.
»Braun!«
Hannah drehte sich zu ihr um. »Wie bitte?«
»Vor ein paar Wochen hat Tobias im Büro telefoniert. Es war kaum zu überhören, dass es dabei um die Therapie ging. Dabei fiel häufig der Name Braun. Mehr weiß ich leider nicht.«
Hannahs Gesichtsausdruck hellte sich auf. »Vielen Dank. Sie haben mir sehr geholfen.«
-35-
S ie drückte die Orange mehrere Male.
»Gute Qualität, alles frisch!«, versicherte der türkische Verkäufer und griff bereits nach einer Tüte.
Sie konnte ihm nur beipflichten, doch sie behielt ihre Erkenntnis für sich. Mit zusammengekniffenen Augen warf sie dem Mann einen unentschlossenen Blick zu und wartete auf dessen Reaktion.
»Ich mache Sonderpreis! Statt fünf Euro, drei Euro für die gleiche Menge!« Er füllte mehrere Orangen in den Beutel.
Sie senkte den Blick und gab sich weiterhin unschlüssig. Sie betrachtete eine Kiste voller Äpfel, die neben den Orangen aufgestellt war.
»Willst du Äpfel? Ich gebe dir ein Kilo Äpfel und die Orangen für zusammen vier Euro.«
Mit einem zufriedenen Lächeln nickte sie ihm zu. »Einverstanden.« Sie zückte ihre Geldbörse, überreichte ihm den ausgehandelten Betrag und nahm die Tüte entgegen. Dann steckte sie das Portemonnaie wieder ein und setzte ihren Einkauf fort. Obwohl sie noch nicht lange auf dem Markt unterwegs war, fühlte sie sich erschöpft wie nach einem
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