Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
Schweigen verfiel. Statt dessen kam er auf seine Geldnöte zu sprechen, auf seine unsichere Stellung zwischen den Kardinalsfraktionen, auf den inneren Konflikt, den seine Schwester Giulia auszufechten habe zwischen einem ungeliebten Ehemann und einem erkaltenden Liebhaber.
Silvia warf den Brief auf ihr Pult und wanderte aufgeregt im Zimmer auf und ab. Dieses Thema reizte sie heute wie damals. Sie hörte regelrecht noch seine einschmeichelnde Stimme, wie er Giulia überredete, Borgias Werben nachzugeben, ihre Ehe zu brechen, ihre Ehre zu verraten – um schnöder Vorteile willen. Um eigener Vorteile! Damals brach ihre sehnsüchtige Liebe zusammen; das Bild, das sie trotz seines langen Schweigens bewahrt, an das sie sich geklammert hatte, es wurde zerstört.
Heftig atmend nahm sie Alessandros Brief wieder in die Hand. »Nie habe ich dich vergessen, geliebte Silvia«, las sie nun, »obwohl mir bewußt war, daß ich auf Grund meiner kirchlichen Bindung auf die Freuden einer Ehe verzichten muß. Ja, ich versuchte, meine Gefühle zu unterdrücken, Deine Gegenwart zu meiden, um mein inneres Feuer zu ersticken. Aber nun stehe ich da, an der Schwelle eines neuen Lebensabschnitts, und weiß nicht weiter.«
Ja, sie wußte auch nicht weiter. Sollte sie etwa dem hohen kirchlichen Würdenträger, der apostolischen Eminenz, dem Kardinaldiakon von Santi Cosma e Damiano, Ratschläge erteilen, wie er sein Leben zwischen Leidenschaft und Weihe, Würde und Geldnöten zu führen habe? Hatte sie nicht gerade erst ihren Vater verloren? Hatte sie sich nicht dazu durchgerungen, Giovanni Crispo zu heiraten, weil sie als Waise nicht in voller Verantwortung einer famiglia vorstehen und sich mit den Gläubigern ihres Vaters herumschlagen wollte? Ja, um was ging es Alessandro eigentlich?
Und dann stieß sie auf einen Satz, der sie erbleichen ließ. Die ganzen verdrechselten Rechtfertigungs- und Erläuterungsversuche traten in den Hintergrund. Alessandro teilte ihr mit, sein Bruder Angelo sei in der Schlacht von Fornovo gefallen. Sie legte den Brief ein zweites Mal auf ihr Pult und nahm ihn nicht wieder in die Hand.
Bisher hatte sie nur Siegesmeldungen erhalten, Triumphgeschrei auf Roms Straßen gehört und Dankgebete in den Messen. Aber was nützte der Sieg, wenn Angelo Farnese, der Mann, der die arme Ippolita erlösen sollte, als einer der wenigen Opfer dieser Schlacht aus ihrer Mitte gerissen worden war? Silvia schossen die Tränen in die Augen. Was war das für ein Gott, der die Frommen opferte, der verhinderte, daß eine arme gequälte Seele wie Ippolita dem Leben zurückgegeben wurde! Der zuließ, daß ein Vater, der seine Tochter retten wollte, totgeschlagen wurde! Der zuließ, daß Silvias ganze Familie nacheinander ausgelöscht wurde, obwohl sie nicht schlechter und besser war als viele andere! Ein solcher Gott war ungerecht, launisch und grausam. An die Liebe eines solchen Gottes konnte man nicht glauben. Ja, konnte man überhaupt an seine Existenz glauben?
Einen Tag lang wollte Silvia nicht ihr Zimmer verlassen und weigerte sich, etwas zu trinken und zu essen. Als Giovanni Crispo sich anmeldete, empfing sie ihn nicht. Aber sie las die Mitteilung, die er hinterließ. Seine Botschaft sei ganz einfach, schrieb er, er liebe sie und wolle sie auch nach dem tragischen Tod von Angelo Farnese noch heiraten. Die Frage der Mitgift spiele für ihn keine Rolle. Sein Vater sei reich genug. »Und ich weiß sehr wohl, daß er deinem Vater Unrecht angetan hat, daß die Art und Weise, wie Agostino Chigi im Verein mit anderen ehrenwerten Männern deinen Vater hintergangen und bedroht hat, verwerflich war. Daß Ippolita nun wahrscheinlich nie mehr einen Ehemann finden wird, daß sie sich aber auch weigert, irgendwo in einem abgelegenen Winkel unseres Landes den Schleier zu nehmen, ist sehr bedauerlich. Wenn du nichts dagegen hast, werden wir sie in unsere famiglia aufnehmen.«
Silvia setzte sich, nachdem sie Giovannis Zeilen gelesen hatte, an ihr Pult, legte Alessandros ihr noch immer entgegenleuchtenden Brief in die Schublade und antwortete Giovanni umgehend. Er sei ein ehrlicher, großmütiger Charakter, und sie danke ihm. Selbstverständlich habe sie nichts dagegen, Ippolita, ihre alte Freundin, der sie viel verdanke, in ihr Haus aufzunehmen. Giovanni möge ihr verzeihen, daß sie ihn nicht empfangen habe, aber die Nachricht vom Tod des Angelo Farnese habe sie mehr getroffen, als sie sich habe vorstellen können.
Und nun trat etwas ein, was
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