Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
Silvia sich noch weniger vorstellen konnte. Giovanni Crispo war, wie sie später von ihm in allen Einzelheiten erfuhr, in Sorge und Trauer nach Hause gegangen. Seine Schwester Ippolita hatte seinen Augen sofort angesehen, daß er fürchte, Silvia könne von dem Ehevertrag zurücktreten. Bis zu diesem Augenblick hatte man ihr den Tod ihres Verlobten verschwiegen, weil man um ihre Gesundheit fürchtete. Aber nun erzählte ihr Giovanni, was geschehen war und was Silvias abweisendes Verhalten begründe.
Angelo war tot. Angelo, den es nicht kümmerte, daß sie auf schreckliche Weise ihre Jungfräulichkeit verloren hatte, daß sie mehrfach als vom Teufel besessen gebrandmarkt und exorziert worden war. Angelo, der sie hatte retten wollen, der jung war und nicht alt und verzweifelt, der nicht von Liebe sprach und schon gar nicht von Mitgift, der aber in jeder seiner Bewegungen und Blicke seine Liebe ausdrückte, dieser Angelo war tot. Ippolita lachte auf, und Giovanni glaubte, sie verliere nun gänzlich ihren Verstand. Sie lachte laut und schluchzte laut, sie riß sich ihr Kleid vom Körper, bis sie nackt vor ihrem Bruder stand. Noch immer konnte man die Narben sehen, die ihr zugefügt worden waren – von einem Mann, der nun Stellvertreter Christi und Nachfolger der Apostel war.
Giovanni sprach ihr gut zu, nahm sie in den Arm, rief ihre Kammerfrau, damit sie wieder bekleidet würde. Aber Ippolita riß sich von ihm los und begann in dem Raum umherzutanzen, und je länger sie tanzte, desto weniger konnte man sie ansprechen. Ihre Augen waren in die Ferne gerichtet. Sie lächelte und summte und sang dann wieder.
Als sie ohnmächtig zusammenbrach, gelang es, sie zu bekleiden. Aber bald kam sie wieder zu sich und begann erneut zu tanzen und zu singen. Crispos Eltern, sprachlos vor Entsetzen, befahlen, sie in ihrem Zimmer einzusperren. Sie ließen einen Arzt holen. Als das Zimmer wieder aufgeschlossen wurde, damit der Arzt sie untersuchen konnte, stürzte sich Ippolita auf ihn, kratzte ihm sein Gesicht blutig, riß ihn zu Boden und rannte die Treppe hinunter. Im Nu stand sie auf der Straße und begann wieder zu tanzen. Giovanni folgte ihr und sprach begütigend auf sie ein, versuchte sie in den Arm zu nehmen und ins Haus zu führen. Aber sie ließ sich nicht einfangen, sondern kratzte und biß, sobald sie jemand berührte. Kaum war sie frei, tanzte sie durch die Straßen und Gassen, sang laut und vernehmlich ein Lied, das alle Jungfrauen aufforderte, ihr zu folgen. Zwischendurch rief sie immer wieder: »Das Himmelreich ist nahe« und »Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, die ihr eingesperrt seid in das Gefängnis eurer Jungfräulichkeit, die ihr geschändet ward und nun verworfen seid. Folget mir, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen und eure geschundenen Leiber. Unser Joch wird leicht sein und die Last genommen von unserem Geschlecht!«
Unter den Menschen bildete sich eine Gasse, durch die Ippolita tanzte. Immer wieder warf sie ein Kleidungsstück von sich, so daß sie sich bald nackt drehte, aber wie ein tödlich bedrängtes Raubtier sich auf jeden stürzte, der ihr zu nahe kam. Es geschah sogar, daß einige Frauen ihr tanzend folgten.
Bevor der Bargello seine sbirren schicken konnte, hatte Ippolita bei der Engelsbrücke den Tiber erreicht. Giovanni war ihr nahe geblieben, hatte immer wieder versucht, ihr gut zuzureden, sie in den Arm zu nehmen. Aber sie hörte ihn nicht. Eine Weile balancierte sie mit erhobenen Armen am Ufer des Tiber entlang, um sie die anderen Mädchen, viele von ihnen inzwischen ebenfalls unbekleidet. Und dann stürzte sich Ippolita in den Fluß. Drei Mädchen folgten ihr, die anderen schrien laut auf und erkannten, was mit ihnen geschehen war. Sie tauchten in der Menge unter, die nun grölend das Geschehen beklatschte. Eins der Mädchen konnte noch aus dem Wasser gezogen werden. Die beiden anderen strampelten und verschwanden in dem Strudel, der um die Brückenpfeiler entstand.
Wo jedoch war Ippolita?
Giovanni, der sie immer im Auge behalten hatte, sah sie plötzlich nicht mehr. Sie mußte untergetaucht sein, hinabgezogen – oder hatte ein Engel sie gerettet? Niemand hatte sie ertrinken sehen, und nirgendwo tauchte sie wieder auf. Sie trieb an kein Ufer, noch fand sie einer der Fischer. Ippolita hatte sich singend und tanzend von der Welt verabschiedet, und Gott hatte sich ihrer gnädig angenommen. So sah es Giovanni in seinem Schmerz, und auch Silvia versuchte es so zu
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