Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
Bünting zu klären habe, geht euch nichts an. Fragt Arndt, vielleicht findet er bei nächster Gelegenheit seine Sprache wieder. Aber lasst mich in Ruhe, ich mache bloß meine Arbeit. Und jetzt ab mit euch!«
    Es waren wohl weniger meine oberlehrerhaften Worte als das drohende Rumgefuchtel mit der Pistole, das die korporierten Milchbubis gehorchen ließ. Folgsam drehten sie sich um und marschierten im Gänsemarsch davon. Nur Frank zögerte.
    »Wir sehn uns noch«, sagte er, und weil ihm das Blut inzwischen in den Mund geflossen war, spuckte er es auf die Straße und wiederholte: »Wir sehn uns noch, Arschloch.« Der zweite Versuch gelang ohne Geblubber.
    Dann folgte er den dreien.
    Ich steckte die Pistole wieder ein. Verdammt, wir befanden uns in Heidelberg-Neuenheim, im bürgerlichsten Wohnviertel des gesamten Bundeslandes, es war früher Nachmittag, junge Mädchen mit Pferdeschwanz gingen zum Cellounterricht, bebrillte Privatdozenten kauften Streuselkuchen, am Neckar ließen sie Drachen steigen, selbst die Autofahrer hielten sich an die Tempo-30-Vorschrift, und ich hatte nichts Besseres zu tun, als mich mit Halbstarken zu prügeln und ein Schießeisen zu zücken. Ich schloss mein Rad auf und fuhr los. Auf der anderen Straßenseite stand ein älterer Herr mit Hut, der missbilligend den Kopf schüttelte und mir nachrief: »Das war kein schöner Auftritt, junger Mann.«
    Nein, war es nicht. Aber er hatte ja keine Ahnung, was noch für Auftritte folgen sollten.
    Bei Bünting kletterte ich wieder über das Gitter. Ich wusste gar nicht, wie man das Gelände durch das Tor betrat. Auf mein Klingeln öffnete eine ältere Frau, die ich noch nie gesehen hatte. Sicher Katerinas Vertretung. »Herr Bünting erwartet mich«, sagte ich und schob sie beiseite. Hinter mir protestierte es ein wenig.
    Der Alte saß oben an seinem Mahagoni-Tisch und schien mit meinem Erscheinen mehr oder weniger gerechnet zu haben. Auch gut. So konnten wir gleich zur Sache kommen. Er musterte mich abschätzig.
    »Falls Sie nach Folterspuren suchen«, sagte ich, »sparen Sie sich die Mühe. Ihr Schwergewichtsboxer hat mich human behandelt.«
    Bünting zog eine Augenbraue hoch.
    »Aber ich ihn nicht«, fügte ich hinzu.
    »Was soll das heißen?«
    »Das soll heißen, dass ihm jetzt die Fliegen um den blutigen Kopf summen. Und dass ich ihm die Hände gebunden habe, damit er sich nicht kratzt. Noch Fragen?«
    »Sind Sie unter die Totschläger gegangen, Koller?«, fuhr Bünting auf.
    »Ich doch nicht. Das ist Ihr Part. Ich hab dem Dicken bloß gezeigt, wie das so ist, wenn einem eine fremde, ungewaschene Faust plötzlich im Gesicht herumspaziert.«
    »Koller, Sie widern mich an. Sie sind kein Detektiv, sondern ein Rowdy. Erst brechen Sie bei Schafstett ein ...«
    »Die Scheibe gab plötzlich nach. Außerdem habe ich das hier von außen gesehen.« Ich ließ Katerinas Kette vor seinen Augen hin- und herbaumeln. Er zuckte mit den Achseln. »Ein Schmuckstück Ihrer Putzfrau«, erläuterte ich. »Sie trug es an ihrem Todestag.«
    »Her damit!«, schrie Bünting und griff mit überraschender Schnelligkeit nach der Kette. Im letzten Moment zog ich sie zurück. Sieh an, der Mann konnte ja richtig aus sich herausgehen!
    Aber nur für einen Augenblick. Schon saß er wieder hinter seinem Schreibtisch, die Ruhe selbst, nur eine dicke Ader an seinem Hals pulsierte rascher als sonst.
    »Das nützt Ihnen gar nichts, Koller«, sagte er. »Kein Mensch glaubt Ihnen, dass Sie die Kette bei Schafstett gefunden haben. Kein Mensch. Und selbst wenn: Sie sind da eingestiegen. Sie haben ihn niedergeschlagen. Jeder Richter dieser Welt wird Sie dafür ins Gefängnis stecken. Zumal Sie gestern Abend ...«
    »Ich weiß«, unterbrach ich ihn. »Zumal ich selbst gestern Abend Ihr Grundstück betreten und die Kleine eigenhändig auf die Gitterstäbe gespießt habe. Aus Liebeskummer wahrscheinlich. Machen Sie sich nicht lächerlich.« Ich setzte mich halb auf sein Mahagoni-Ungetüm. »Hören Sie mir lieber in Ruhe zu. Ich werde Ihnen nämlich jetzt meine Version der Geschichte unterbreiten. Und zwar von Anfang bis Ende, von Jugoslawien bis zur Ukraine sozusagen.«
    Der Alte erhob sich, seine Augen hinter der randlosen Brille funkelten. »Sie verlassen auf der Stelle mein Haus!«, rief er. »Koller, ich weiß nicht, wozu ich fähig sein werde, wenn Sie ...«
    Er ließ die Drohung unvollendet; einerseits, weil er sich davon eine größere rhetorische Wirkung versprach, andererseits, weil ich

Weitere Kostenlose Bücher