Bergfriedhof
seit ich ihn kannte. Bevor er weiter herumtoben konnte, hob ich meine Pistole und legte einen Finger auf die Lippen. Diese Argumentation fruchtete. Zumindest senkte er die Stimme ein wenig.
»Ich muss dem Jungen nachgehen«, fuhr er mich an. »Wer weiß, was er sich antut.«
»Nichts wird er sich antun«, sagte ich. »Er wird zurückkommen. Da es nun einmal raus ist, wird er uns gleich die ganze Geschichte erzählen.«
Ausnahmsweise sollte ich recht behalten. Schon nach wenigen Sekunden stand der junge Bünting wieder in der Tür. Tränen liefen ihm über die Wangen, die Augen standen wie im Fieber weit offen, und von seiner Gesichtsfarbe will ich gar nicht reden. In der Hand hielt er ein Stück Papier.
»Du bist doch an allem schuld«, schrie er seinen Großvater an. »Du und meine ... meine scheiß Kumpels! Hier!« Schluchzend warf er sein Mitbringsel auf den Tisch. Ich war schneller als der Alte und griff mir das Papier.
Ein Foto. Es zeigte zwei Halbwüchsige in schwarzer Uniform, die stolz in die Kamera grienten. Zweifellos hielten sie sich für Prachtexemplare ihrer Spezies, vielleicht wegen der SS-Rune auf dem Jackenkragen. Ich drehte das Foto um. Auf der Rückseite stand in klobiger Handschrift: ›Zur Erinnerung an Heidelberg. III/1945. J.B.‹
»Hat dir das der Serbe gegeben?«, fragte ich Arndt. Er nickte.
»Und das hier sind Sie, nehme ich an«, wandte ich mich Bünting zu und zeigte auf die linke Figur. Der Alte schwieg.
»Dann mal raus mit der Sprache, Arndt. Jetzt oder nie. Sonst versuche ich es mit einer eigenen Version.«
Arndt wischte sich Rotz und Wasser aus dem Gesicht und schluckte. Ich wies ihm den freien Ledersessel, auf dem ich drei Tage zuvor gesessen hatte, doch er schüttelte den Kopf. Bünting nahm mit aschfahlem Gesicht hinter seinem Schreibtisch Platz. Keiner sprach. Schließlich erhob ich mich. Einem Wandschrank, der eine kleine Hausbar enthielt, entnahm ich eine Flasche Whisky (Oban, nicht Lagavulin), füllte zwei Gläser randvoll und schob eines Arndt hin.
»Vielleicht hilft das.«
Es half tatsächlich. Arndt nahm einen kräftigen Schluck und begann. Mittendrin.
»Ich habe ihn ... Wir hatten uns gestritten.«
»Moment, Moment. Fang vorne an. Dieser Typ ist dir in Serbien über den Weg gelaufen.«
»Ja. Das weißt du doch schon. Arsani hatte ihm meinen Namen genannt, er kam auf mich zu und fragte mich aus. Ob ich Verwandte hätte. Wo die wohnen würden. Und dann interessierte er sich nur noch für meinen Großvater.«
»Er hat also nicht sofort nach ihm gefragt?«
»Erst nicht. Aber dann wollte er alles über ihn wissen, seinen Vornamen, sein Alter, seinen Beruf, alles. Ich hatte keine Lust, ihm Auskunft zu geben, er war einfach lästig.« Er nahm einen zweiten Schluck.
»Und vor einer Woche, am Donnerstag, steht er plötzlich vor deiner Tür. Nein, in deinem Seminar. Rubens, nicht wahr?«
»Ja. Er hatte sich zu Arsani durchgefragt, und der wollte ihn loswerden. Ich hatte ihm natürlich nicht meine richtige Adresse gegeben.«
»Arsani?«
»Nein, dem Jugo. Und nun wollte er unbedingt bei mir übernachten. Im Verbindungshaus. Er sagte, er sei ein alter Freund von Opa und hätte ihm ein Geschäft vorzuschlagen. Darauf ich: Dann gehn Sie doch zu meinem Großvater und bereden das mit ihm. Er: Jaja, aber nicht jetzt. Morgen. Er würde auch zahlen für das Zimmer, sobald er Geld hätte.«
»Hatte er Geld?«
»Keinen Cent. Also, es ging hin und her, und ich merkte, dass er keine Lust hatte, bei Opa persönlich vorbeizuschauen. Deshalb habe ich sein Geschwätz von wegen alter Freundschaft auch nicht geglaubt. Aber dann zeigte er mir das Foto.«
»Er selbst und sein alter Kumpel Hanjo Bünting. Freunde fürs Leben.« Ich schaute auf die Initialen der Widmung; mir fiel ein, dass der Fettklops seinen Meister Jochen nannte. »Wie hieß der Serbe eigentlich?«
Arndt schniefte und zuckte die Achseln. »Seinen Jugo-Namen hab ich vergessen. Er sagte, ich könnte ihn Jakob nennen. Hat dabei aber ganz komisch gelacht.«
Meine Kinnlade klappte nach unten. Natürlich ... Jakob! Das Grab und der Kunstgeschichtler! Ich starrte Bünting an.
»Jakob Burkhardt ... Deshalb also sollte ich auf den Friedhof kommen. Sie wollten mir sein Grab zeigen. Das Grab eines Mannes, der nach 60 Jahren zurück nach Heidelberg kommt.« Fassungslos schüttelte ich den Kopf. Wie viel Oban würde ich wohl noch benötigen, um alle Zusammenhänge zu verstehen?
»Welches Grab?«, fragte Arndt.
»Egal, mach
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