Bergfriedhof
nur auf die scharfen Spitzen der Stäbe musste man achten.
Auf der anderen Seite landete ich zwischen Buschwerk und niedrigen, dichten Tannen. Ich kroch gebückt durch die Zweige und betrat den vorbildlich gestutzten Rasen; er sah nicht nur aus wie ein weiches Willkommen, er fühlte sich auch so an. Auf diesem Götterrasen Fußball spielen. Nur einmal!
Ich befand mich nun hinter der Villa. Bevor ich meinen großen Auftritt zelebrierte, wollte ich noch ein wenig herumschnüffeln. Da waren zum Beispiel zwei Erdgeschosszimmer an der Rückseite des Hauses. Beide lagen sie im Schatten großer Buchen, sodass meine Augen sich erst an das Dämmerlicht gewöhnen mussten, bis ich Konturen unterscheiden konnte. Das linke Zimmer war mit Büchern vollgestopft wie eine Bibliothek, aber ich entdeckte auch ein Bett darin, einen Kleiderschrank, einen kleinen Schreibtisch, Bilder an der Wand, einen Stuhl, einen Fernseher, eine Stereoanlage. Außerdem Krimskrams auf dem Boden, auf Regalen und auf einem Nachttisch: Weinflaschen, Kerzenständer, eine Hantel, Comics, Landkarten. Nicht unbedingt das, was ich erwartet hatte. Von den fehlenden Kleiderstapeln einmal abgesehen, erinnerte mich der Raum an eine Junggesellen- oder Studentenbude.
Das Zimmer rechts wirkte dagegen karg und leer; auch hier standen ein Bett, ein Hocker und ein kleiner Tisch, sonst jedoch praktisch nichts. Eine Lampe, eine Truhe, ein Teppich und zwei Bücher am Kopfende des niedrigen Bettes, das war alles. Wenn hier jemand wohnte, dann befanden sich seine Habseligkeiten entweder an einem anderen Ort, oder er besaß einfach nichts.
Gerade als ich meine Inventarliste geschlossen hatte, wurde drinnen die Tür geöffnet, und die Brünette von vorhin trat ein. Ohne zum Fenster zu blicken, zog sie sich im Hereinkommen den Pulli aus, kickte die Tür mit der Hacke zu, setzte sich pfeifend aufs Bett und streifte die Schuhe ab. Den einen warf sie in eine Ecke, an dem anderen entdeckte sie einen Krümel oder einen kleinen Fleck, den sie stirnrunzelnd abwischte, dann flog auch dieser Schuh in die Ecke.
Das gefiel mir.
Ihr Pfeifen, ihr Stirnrunzeln, der Umgang mit den Schuhen, der Verzicht auf den Pulli – sehr schön. Auch als sie niesen musste, gefiel es mir. Sie war die Ungezwungenheit in Vollendung. Vielleicht zu vollendet; ich befand mich schließlich auf dem Grundstück eines erwiesenen Geheimnistuers und Leuteverschauklers, da musste man vorsichtig sein. Am Ende hatte sie mich längst bemerkt und spielte diese kleine Szene für mich: eine Nachwuchsschauspielerin in ihrer Paraderolle. Mir auch recht. Ich war gespannt, wie es weitergehen würde.
Es ging mit ihrer Hose weiter. Die wurde als Nächstes ausgezogen, und ich durfte in Ruhe ihre Unterwäsche bewundern. Alles, was sie abgelegt hatte, wanderte in die Truhe, aus der sie stattdessen ein schwarzes Kleidchen hervorzauberte. Das zog sie an. Ich kam mir vor wie im Kino. Ein sehr hübsches Kleid an einem ebenso hübschen Körper. Immer noch pfeifend, fummelte sie an einem Reißverschluss herum, schlüpfte in ein neues Paar flacher Schuhe und stolzierte hinaus.
Die Vorstellung war zu Ende.
Nein, das war keine Tochter oder Enkelin. Ich korrigierte: Diese junge Dame kam dem altehrwürdigen Beruf einer Kammerzofe nach, mit allem Drum und Dran. Kochen, servieren, den Hund Gassi führen und dem Herrn des Hauses das Kinn kraulen. Mich hätte interessiert, was sie am besten konnte.
Auch in diesen Erwägungen spielte der Neid eines unterbeschäftigten Privatermittlers auf einen erfolgreichen Stadtteilnachbarn eine nicht unbedeutende Rolle. Nicht lange jedoch, dann schreckte mich ein wohlbekanntes Geräusch auf. Wohlbekannt deshalb, weil es bereits durch meine Fantasie gegeistert war: das Knirschen des Kieses vor der Villa. Dazu das Summen eines ankommenden Wagens. Ich verließ die Rückfront des Hauses und spähte Richtung Einfahrt. Nichts zu sehen. Vorsichtig tastete ich mich an der Seitenwand entlang, bis ich die vordere Gebäudeecke erreicht hatte. Die Abendsonne tauchte das Gelände in goldenes Licht. Eine Autotür fiel zu. Kein BMW stand da, sondern ein kleinerer Audi in silber-metallic. Der Fahrer schloss ab und schritt dem Eingangsportal der Villa entgegen.
Der falsche Wagen. Aber der richtige Mann.
15
»Hanjo Bünting!«, brüllte mir Covet ohne Vorwarnung ins Ohr. Stolz wie Oskar.
Ich brachte eine Armlänge Distanz zwischen meinen Kopf und den Hörer. Montagmorgen, acht Uhr 50. Mein
Weitere Kostenlose Bücher