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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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schweifen lassen würde, um mir irgendetwas Nettes zu sagen oder irgendetwas Vorwurfsvolles, was manchmal auf das Gleiche hinauslief. Ich säbelte an den Resten meiner Lammhaxe herum. Was hätte ich sonst tun können? Ich sage ja, es war unausweichlich, und ich hatte es vorher gewusst, schon bei unserem gestrigen Telefonat hätte ich eine lückenlose Szenenfolge unseres Abends im Restaurant Romantik zeichnen können. Stumm brüteten wir weiter, und ich bestellte eine zweite Flasche Wein.
    »Übrigens: Ich habe einen neuen Freund«, sagte sie unvermittelt. Sie hatte sich eine Zigarette angezündet und fixierte die Gäste hinter meinem Rücken. Glücklich sah sie nicht aus.
    »Gratuliere«, entgegnete ich. »Manfred?«
    »Manfred?« Sie verschluckte sich fast. »Um Gottes willen, doch nicht dieser Schnarchsack! Was traust du mir zu?«
    »Ein Schnarchsack, der dir das Passwort zu seinem PC verrät. Immerhin. Wer ist es denn, der dir das Passwort zu seinem Herzen verraten hat?« Nicht, dass es mich groß interessierte, aber ihr zuliebe gab ich mir wenigstens den Anschein. Christine würde mich nicht gehen lassen, ohne mir den Namen und die Adresse des Glücklichen mitzuteilen. Samt Hut- und Seelengröße.
    Sie zog gelassen an ihrer Zigarette. Vermutlich hatte sie sich eine andere Reaktion meinerseits gewünscht.
    »Kennst du nicht«, sagte sie kurz angebunden.
    »Na, dann ...«
    »Er arbeitet an der Uni. In der Physik. Und sitzt für die SPD im Stadtrat.«
    Ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Das war nun wirklich das Klischee in Reinform. Ein Partner, den der erhobene Zeigefinger ausgewählt hatte: politisch aktiver Akademiker, vermutlich hochpotent und hochsensibel, leutselig und redegewandt. Eine Art Anti-Koller. Für Christine ein Sechser im Lotto des Lebens.
    »Und? Ist er der Richtige?«, fragte ich, immer noch grinsend.
    »Ich mag ihn. Er war früher ein guter Sportler, Handballer. Hat in der zweiten Liga gespielt.« Na, also: der komplette Gegenentwurf zu mir. Maximal männlich und minimal Max.
    »Übersetzt heißt das: Er ist mir nicht nur geistig überlegen.«
    »Hör auf, Max. Es geht nicht um Überlegenheit. Das ist kein Wettbewerb zwischen euch. Typisch Mann!« Sie lehnte sich zurück und entließ wütend Rauch aus ihrer Lunge. Wie ein kleiner, Feuer speiender Drache. »Er ist ein netter Kerl. Wir können gut miteinander, fertig ... Und so toll sieht er nun auch wieder nicht aus.«
    Ich schenkte mir Wein nach. Diese Gespräche, und es kommt immer wieder zu ihnen, wenn wir uns treffen, belustigen mich und machen mich gleichzeitig auf eine schwer zu beschreibende Art trübsinnig. Trübsinn aber kann ich nur im Kino oder mit Alkohol bekämpfen.
    »Auch noch einen Schluck?«
    Sie schüttelte den Kopf; ihr genügten die Zigaretten.
    Und dann schwiegen wir wieder. Auch typisch: In all den Jahren haben wir es nicht geschafft, ein gemeinsames Vokabular zu finden, Christine und ich. Jeder glaubt, er habe den anderen durchschaut, interpretiert dessen Äußerungen auf seine Weise, übersetzt sie sich, legt sie sich zurecht, und am Ende reden wir doch wieder aneinander vorbei. Der eine sagt etwas, der andere kriegt es in den falschen Hals, seine Antwort wird wieder missverstanden ... Kleinigkeiten, aber sie stauen sich auf. Anfangs dachten wir, wir seien uns sehr ähnlich, ja, wir waren sogar ganz sicher; und als wir nach und nach feststellen mussten, dass wir auf weit voneinander entfernten Galaxien hausten, ohne jede Möglichkeit zu kommunizieren, da war es zu spät. Aber selbst diese sentimentale Sicht der Dinge würde Christine bestreiten.
    »Manchmal erinnert er mich an dich«, sagte sie. Ich blickte sie skeptisch an. Sie war jetzt Mitte 30, hatte ihre jugendliche Zuversicht und Spontaneität eingebüßt ... aber mit all den Sorgen und Enttäuschungen, die ihr ins Gesicht geschrieben standen und die sich ausnahmslos auf Max reimten, wirkte sie, wie soll ich sagen – sprechender? Nun ja, so etwas in der Art, mir fällt kein besserer Begriff ein. Sprechender. Interessanter. Sie wurde nicht jünger, aber ihrem Aussehen tat dies keinen Abbruch. Die Jahre, ich meine: die Jahre mit mir, hatten sie verletzlicher und ausdrucksvoller gemacht. Am Ende musste sie mir noch dankbar dafür sein. Arme Christine! Sie hatte Besseres verdient als mich.
    »Kloppt er sich auch mit Jüngeren rum?«, fragte ich.
    »Er redet weniger Stuss als du. Ein bisschen antriebsschwach ist er, kommt nicht so schnell in die Gänge.« Sie

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