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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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von Grund auf irrational; Katerina besaß eine ganz eigene Attraktivität, die sich keinesfalls verallgemeinern ließ. Ich bevorzugte einen eindeutig anderen Geschmack, außerdem war mir die Frau – vom beruflichen Standpunkt aus geurteilt – entschieden zu verschlossen.
    Von den Mädchen, die an diesem Dienstag im Arsenal bedienten, konnte man das nicht sagen. Man schaute links, man schaute rechts und sah nacktes Fleisch. Frisches, unverbrauchtes Fleisch. Kaum nahte der Mai, liefen diese jungen Dinger herum wie ein aufgeschlagenes Buch: knappe T-Shirts, tiefe Ausschnitte, freiliegende Taillen – eine gewöhnungsbedürftige, aber angenehme Lektüre. Die Rothaarige, die mir den Kaffee brachte, war ein einziger Willkommensgruß an den Sommer, die Einladung zu einem heidnischen Ritual. Wenn sie sich bückte, glitt ihr schwarzes T-Shirt fünf, sechs Rückenwirbel nach oben, darunter lag die Jeans locker auf ihren Hüftknochen. Okay, vielleicht tragen sie ein wenig zu dick auf, diese beängstigend braun gebrannten Mädchen, mit ihren Nasenpiercings und Schulterblatt-Tattoos, mit breiten lachenden Mündern und Kleidern in kräftigen Farben. Aber ich bin ohnehin zu alt für sie und genieße am liebsten aus sicherer Distanz. Wie auch immer, ich hätte lieber eine von ihnen interviewt als eine blasse Haushälterin vom Schlage Katerinas, die die Zähne nicht auseinanderbekam. Es war verdammt harte Arbeit, sie zum Reden zu bringen.
    Ich hatte ihr das Arsenal am Telefon genannt, weil es für Heidelberger Verhältnisse erträgliche Preise hat. Außerdem konnte man dort ungestört miteinander sprechen, was im Englischen Jäger nicht der Fall gewesen wäre – abgesehen davon, dass diese Spelunke keinem Normalmenschen zuzumuten war. Falls die Ukrainerin zu dieser Spezies gehörte. In unser Treffen hatte sie nur zögernd eingewilligt. Was ich noch von ihr wolle und warum wir das nicht am Telefon klären könnten ... Ihr Arbeitgeber erlaube keine längeren Abwesenheiten. Sie war misstrauisch, kein Wunder. Mein Besuch am Sonntagabend hatte ihr nur Ärger eingebracht. Nun gut, sagte sie schließlich, nach dem Mittagessen stehe ihr ein Stündchen zur freien Verfügung, da könne sie mal schnell nach Bergheim radeln. Wenn ich denn darauf bestünde.
    Ich bestand darauf. Bislang war sie die einzige Person aus Büntings direkter Umgebung, die ich ungestört interviewen konnte. Seine Frau hatte das Sprechen verlernt, bei Arndt würde man sehen. Aber wie auskunftsfreudig war Katerina? Die Gesprächsführung überließ sie jedenfalls gänzlich mir. Nur bestellen tat sie selbst.
    »Das geht natürlich auf mich«, sagte ich großspurig. In meiner Tasche knisterte ein einsamer 20-Euro-Schein.
    »Einen Kaffee mit Sahne und Zucker. Mit viel Sahne bitte.«
    »Also einen Cappuccino?«
    »Aber mit Sahne obendrauf. Und vielleicht ein Keks, ja?« Sie lächelte die Bedienung an.
    »Für mich einfach nur einen Kaffee. Ohne alles.«
    Ich wartete mit meinen Erläuterungen, bis wir beide etwas zu trinken hatten, druckste ein wenig herum – alles Show, ich hatte mir meine Strategie vorher zurechtgelegt –, entschuldigte mich für meinen Auftritt am Sonntag und für meine Notlüge vom besorgten Geschäftspartner. Die würde ich nicht wieder aufwärmen, da könne sie sicher sein. Ich hätte vielmehr beschlossen, ihr reinen Wein einzuschenken.
    »Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden, Katerina«, sagte ich – schon wieder so eine kulinarische Metapher – und schob ihr meine Karte über den Tisch. »Ich bin Privatdetektiv. Sorry.«
    »Detektiv?« entgegnete sie, auf das Kärtchen starrend.
    Ich nickte.
    »Also doch Polizei.«
    »Nein, überhaupt nicht.«
    »Spion. Agent. Geheimagent.«
    »Ach, was. Nicht die Bohne. Ich bin mein eigener Herr, arbeite für niemanden. Nur für meine Auftraggeber.«
    »Für wen denn?«
    »Für Herrn Bünting. Ursprünglich zumindest.«
    »Aha.« Sie führte die volle Tasse zum Mund.
    »Also, passen Sie auf ...«
    »Mhm, der Kaffee ist ja wunderbar«, rief sie aus und leckte sich die Lippen. »So einen Kaffee habe ich noch nie getrunken.«
    »Schön«, sagte ich.
    Sie seufzte auf, fuhr mit dem Zeigefinger in die Sahne und steckte ihn in den Mund. »Super«, sagte sie. »Super.« Als sie den Finger aus dem Mund zog, glänzte er fettig.
    »Also«, begann ich ein zweites Mal. »Ich könnte Ihnen natürlich nun ein neues Märchen auftischen ...« – irgendwie hatte ich es heute mit den Esszimmer-Metaphern – »

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