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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Danach ist eine Stunde Mittagsruhe; meistens bin ich auf meinem Zimmer und lese oder höre Musik. Dann muss ich mich wieder um die Frau kümmern, im Haus arbeiten und das Abendessen vorbereiten. Das ist alles. Ich weiß nicht genau, was ich an diesem Freitag gemacht habe. Alle Tage laufen so ab.«
    »Und Ihr Chef?«
    »Keine Ahnung. Seine Sache.«
    »Bleibt er denn normalerweise zu Hause? Oder wo arbeitet er?«
    »Meistens in seinem Arbeitszimmer. Oben, erster Stock. Zweimal in der Woche fährt er nach Darmstadt, in seine Firma. 10.000 Arbeiter, und er ist der Chef.« So, wie sie es sagte, schien sie regelrecht stolz auf ihren Ausbeuter zu sein.
    »Und am Freitag? War er da in Darmstadt?«
    »Nein, zu Hause. Aber mehr weiß ich nicht. Er war in seinem Zimmer, glaube ich.«
    »Keine Besucher?«
    »Nein.«
    »Anrufe?«
    »Bestimmt. Anrufe hat er jeden Tag, immer.«
    Natürlich, jeder hat jeden Tag Anrufe. Immer! Lag es wirklich an meinen Fragen, dass ich nicht weiterkam? Oder verschwieg mir Katerina im Schutz von Sprach- und Verständnisschwierigkeiten etwas? Schwer zu beurteilen. Mit beiden Händen hielt sie ihre Kaffeetasse vor die Lippen und pustete sacht hinein. Ihre Fingernägel waren hellrosa lackiert.
    »Was soll denn an diesem Freitag passiert sein?«, fragte sie.
    »Keine Ahnung. Möglicherweise nichts. Es kann auch schon einen Tag früher gewesen sein. Ich stelle es mir so vor, dass Herr Bünting am Mittag oder am frühen Nachmittag einen Besuch erhielt, der ihn beunruhigte. Vielleicht aber auch einen Anruf oder einen Brief. Jedenfalls meldete er sich gegen sechs bei mir, um mich zu engagieren. Er fühlte sich bedroht oder sogar erpresst, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall muss die Angelegenheit so heikel gewesen sein, dass er nicht die Polizei einschaltete, sondern mich.«
    »Und dann war der Auftrag irgendwann ... vorbei?«
    »Genau. Auftrag beendet. Ohne Angabe von Gründen.«
    »Verstehe.«
    »Deshalb interessiert mich, was an diesem Freitag passiert ist.«
    Sie nickte und sah verstohlen auf ihre Armbanduhr. Aber was heißt schon verstohlen, wenn man sich an einem kleinen Tisch gegenübersitzt?
    »Ich weiß, Sie müssen zurück«, sagte ich. »Sie können ja zu Hause in Ruhe darüber nachdenken. Vielleicht fällt Ihnen noch etwas ein.«
    »Es tut mir wirklich leid, Herr Koller«, entgegnete sie und schenkte mir einen fast flehentlichen Blick. Bitte, Herr Koller, glauben Sie mir doch ... Ich weiß nichts ... Bin nur ein kleines Mädchen aus der Ukraine ... Auf der Oberlippe waren Sahnespuren zu sehen. »Dieser Freitag ... Ich kann mich an nichts Besonderes erinnern. Herr Bünting war wie immer. Wenn ihn etwas beunruhigt hat, dann muss es ein Anruf gewesen sein. Oder ein Brief. Sonst kann ich Ihnen nichts sagen. Leider.«
    »Schon gut.« Ich rief die Bedienung, bevor Katerina Lust auf mehr Kuchen bekommen konnte.
    »18,20 Euro macht das zusammen.« Und schon war er weg, mein 20-Euro-Schein. Für nichts und wieder nichts. Quatsch, hörte ich Fatty im Hintergrund rufen. Für ein Tête-à-tête mit Katerina, für einen grünen Katzenaugenblick, für ein halbes Stündchen Seligkeit ...! Ja, vielleicht. Aber ich kann mir das nicht leisten. Keine grünäugige Seligkeit für 20 Euro.
    »Wenn Ihnen noch etwas einfällt: Sie haben ja meine Karte«, sagte ich.
    Sie nickte. »Danke für den Kaffee. Aber jetzt muss ich gehen. Die Arbeit wartet.«
    »Eines müssen Sie mir noch versprechen: dass Sie versuchen, dem alten Halsabschneider mehr Kohle aus den Rippen zu schneiden.«
    Sie versprach es. Nachdem ich ihr erklärt hatte, wie, wo und warum man jemandem Kohle aus den Rippen schneidet.
     
     

29
    Rheno-Nicaria ... Ein Name wie Donnerhall.
    Ich weiß nicht recht. Ich kam an diesem Abend ins Grübeln. Ins Grübeln über mich, über meine Mitmenschen, über die Richtung, in die unsere Erde steuert, und über viele andere Dinge. Dabei neige ich nicht zur Grübelei. Ich sehe das Leben eher von der pragmatischen Seite, gestehe dem Rest der Menschheit dieselben Fehler, Schwächen, Vorurteile und Irrwege zu wie mir selbst. Sollen sie treiben, was sie wollen. Wir alle haben irgendwo in unserem Herzen eine verriegelte kleine Kammer, in der unsere Verrücktheiten schlummern, eine wilde Leidenschaft oder eine kleine Perversion, die niemanden etwas angeht. Die Dunkelheit der Kammer schützt uns.
    Aber das hier ... das hier war etwas anderes.
    Wie gesagt, ich geriet ins Grübeln. Und ich kam auf seltsame Gedanken: stellte mir

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