Bergwasser: Ein Schweiz-Krimi (German Edition)
mehr kommt.«
»Okay, ich bin dabei.«
Datum: Mittwoch, 11. Juli 2012 14:23
Betreff: AW: AW: Es tut mir leid
Mein Liebster,
ich mache mir große Sorgen. Eine Freundin von mir ist verschwunden. Schon seit ein paar Tagen. Ich habe meinen Chef gefragt. Der hat gemeint, sie habe Urlaub genommen. Aber sie hat mir gar nichts gesagt. Ich habe ein schlechtes Gefühl. Aber vielleicht kommt sie ja heute Abend zurück.
Ich rede immer nur von mir. Geht es Anya besser? Oder hat sie immer noch so starkes Fieber? Es tut mir so leid, dass ich nicht bei Euch bin. Was hat der Doktor gesagt? Sollte Mutter nicht besser ins Spital gehen?
Ich habe Euch zweihundert Franken überwiesen.
In Liebe J.
Julia watete mit Stettler Richtung Tunnelbrust. Das Wasser stand einen halben Meter tief. Immer noch strömte es hinter der Ortsbrust hervor, als hätten sie einen unterirdischen See angestochen. Doch auch an den Seitenwänden schoss es heraus. Julia berührte den nassen Fels. Das Wasser war etwa vierzig Grad warm. Auch die Kluft, die seitlich ein paar Meter hinter dem Bohrkopf lag, war ausgespült worden. Was die Mineure in mehrstündiger Arbeit sorgfältig verputzt hatten, war innerhalb von Minuten zunichtegemacht worden. Der ganze Spritzbeton war ausgeschwemmt, die Stahlmatten lagen geknickt auf dem Tunnelboden.
Doch da war noch etwas anderes. Etwas Helles leuchtete in der Kluft. Julia wollte näher herangehen, aber das Wasser war zu tief. Es hätte ihr die Stiefel gefüllt.
Sie wollte Stettler darauf hinweisen, aber der stand vorne in der Nähe des Bohrkopfes und untersuchte den Fels. Mit einem Pickel klopfte er darauf herum. Bei jedem Stein, der sich löste, schoss ein Wasserstrahl hinterher.
»So eine Sauerei. Das kostet uns Monate!« Er schlug noch ein paarmal auf die Wand ein, dann ließ er den Pickel fallen.
So hatte sie Stettler noch nie gesehen. Er ließ den Kopf hängen und scharrte mit dem Stiefel im Schlamm herum.
»Es tut mir leid«, sagte Julia und machte ein paar Schritte auf ihn zu, doch er wandte sich ab.
Sie beschloss, den Weg über die Maschine zu nehmen. Vielleicht kam sie von hinten näher an die Kluft heran.
Sie stieg hinauf, die Arbeiter waren dabei, den Schlamm von den Förderbändern zu putzen. Julia gab ihnen die Anweisung, auch die Schneidrollen zu kontrollieren und zu schauen, ob die Räumer nicht verstopft waren. Dann kletterte sie weiter hinten wieder von der Maschine hinab.
Von hier sah die Kluft geschlossener aus. Von dem hellen Fleck war nichts mehr zu sehen. Julia ging näher heran, das Wasser stand hier wie erwartet weniger hoch. Die Kluft schied immer noch Flüssigkeit aus. Julia war fast beim Felsen, da rutschte sie auf einem Stein aus. Sie konnte sich gerade noch an der Wand festhalten, doch der nasse Stein bot ihr keinen guten Halt. Beinahe wäre sie gekippt; sie versuchte, sich am Fels wieder hochzuziehen, was ihr nur mühsam gelang. Kaum hatte sie sich aufgerichtet, kam ihr etwas entgegen und schlug ihr ins Gesicht. Es war ein Arm. Der Arm einer Frau.
»Nicht schon wieder dieser Tunnel!« Die Polizistin knallte den Hörer auf. »Franco, zieh die Stiefel an. Es geht Untertag.« Tresa klang euphorisch, doch Franco wusste, dass seine Kollegin unter Platzangst litt. »Soll ich alleine …«
»Auf keinen Fall!«, antwortete sie und war bereits im Flur. Franco holte seine Stiefel aus dem Schrank und tauschte sie gegen seine Halbschuhe.
Tresa wartete bereits im Auto. Die Musik hatte sie voll aufgedreht. Gianna Nannini sang Bello, bello e impossibile.
»Wo ist es diesmal?«, schrie er.
»Beim Zwischenangriff.«
»Also mitten im Tunnel?« Sogleich bereute Franco seine Frage. Tresa sah nun doch ziemlich blass aus.
»Genau.« Sie trat aufs Gaspedal, er hielt sich am Griff oberhalb des Fensters fest. Ihm würde schlecht werden, wenn sie so weitermachte.
Sie fuhren den steilen Eingangsstollen hinunter, bogen links ab und erreichten kurze Zeit später das Hinterteil der Bohrmaschine. Den Rest erledigten sie zu Fuß. Es war nur ein schmaler Durchgang zwischen Maschine und Tunnelwand, sodass man hintereinander gehen musste. Tresa ging voran, er hörte sie laut atmen. Hatte sie Panik? Oder war es nur die Hitze? Daran hatte er nicht gedacht. Er hielt an und zog seine Jacke aus. Unter den Achseln war sein Hemd bereits durchnässt.
Tresa drehte sich um. »Na mach schon. Los, los!«
Offenbar doch die Panik. Üblicherweise schrie sie nicht so herum.
Inzwischen hatten sie die Steuerkabine
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