Bergwasser: Ein Schweiz-Krimi (German Edition)
freue mich auf die weitere Zusammenarbeit«, schloss Stettler seine Rede.
Hinter der Bar stand die Kantinenchefin und fragte Julia, was sie trinken möchte. Julia nahm einen Rotwein und schaute sich nach Maria um. Doch die war nirgends zu sehen. Sie setzte sich auf einen freien Stuhl ans Ende eines langen Tisches. Die Männer verstummten sofort und schauten sie an. Am liebsten wäre Julia wieder aufgestanden und gegangen. Doch sie zwang sich, sitzen zu bleiben. Davonrennen war keine Lösung. Sie hielt den Blicken stand, schaute jedem Einzelnen in die Augen. Sollten sie ihr doch ins Gesicht sagen, wenn sie etwas störte. Doch niemand sagte etwas.
Dann begann einer zu lachen. »Und, Frau Ingenieurin, halten Sie keine Rede?« Erst jetzt bemerkte Julia, dass sie als Einzige am Kopfende eines Tisches saß.
»Nein, heute nicht.« Sie erhob das Glas: »Prost!«
»Viva!«, tönte es zurück.
Der junge Mann, der neben ihr saß, er musste wenig über zwanzig sein, fragte sie, wieso sie Maschineningenieurin geworden war. Ein anderer wollte wissen, wie ihr die Schweiz gefiel.
»Etwas eng«, meinte Julia.
»Ohne Berg koan Tunnels«, sagte ein anderer.
»Man könne auch im Meer Tunnels bauen«, erwiderte Julia.
»Darf ich Ihnen eine Wurst bringen?«, fragte der junge Mann.
»Danke, das mach ich schon selber. Ich bin übrigens Julia.« Sie erhob sich.
»Robin«, sagte er und streckte ihr die Hand entgegen.
Sie ging zuerst ans Salatbüfett, dann zum Grill. Robin folgte ihr wie ein Hündchen. Hinter dem Grill stand Maria.
»Ich hätte gerne eine Wurst«, sagte Julia.
»Eine Kalbsbratwurst oder einen Cervelat?«, fragte Maria.
»Einen was?«
»Ein Schweinswürsterl«, erklärte jemand neben ihr.
»Ich nehme so ein Schweinsding«, sagte Julia.
Die Wurst schmeckte nicht schlecht, vielleicht etwas fettig. Robin wich den ganzen Abend nicht von Julias Seite, außer einmal, als er kurz aufs Klo ging. Er fragte sie über ihr Leben aus, wollte alles wissen. Er schenkte ihnen immer wieder Rotwein nach, und je länger der Abend dauerte, desto anhänglicher wurde er. Er rückte immer näher, hielt den Kopf verschwörerisch tief und erzählte Julia von seiner Familie. Er war wirklich lustig und brachte Julia so zum Lachen, dass ihr das Brustfell zu schmerzen begann. Sie musste Luft holen, richtete sich auf und sah Sandro, der sie böse anblickte. Robin schien nichts bemerkt zu haben, er erzählte weiter und weiter.
Irgendwann landete er an Julias Schulter. Sie versuchte, ihn sachte wieder zurückzulehnen, doch er hatte es sich bequem gemacht.
»Komm, Robin«, sagte einer der Männer, Julia hatte seinen Namen vergessen. »Du musst ins Bett.« Robin wehrte sich nicht, als der Mann ihn auf die Füße stellte und in Richtung Baracken manövrierte.
Julia schaute sich um. An einem der vielen schon zur Hälfte leeren Tische sah sie Stettler sitzen. Er war in ein Gespräch mit dem Bauleiter vertieft. Sie hätte sich zu ihm setzen können, doch ihr Auftritt vom Nachmittag war ihr peinlich. Hatte sie sich alles wirklich nur eingebildet?
»Ich muss dich unbedingt sprechen!« Julia schreckte auf, drehte sich um, hinter ihr stand Maria.
»Hier bist du!«
»Aber nicht jetzt. Später. So um eins, dann bin ich hier fertig.«
»Und wo?«
»Beim Schuppen.«
Julia schaute auf die Uhr. Es war Viertel nach zwölf. Sie erhob sich. Der Rotwein hatte sie angenehm müde gemacht. Sie schlängelte sich zwischen den Tischen durch und ging Richtung Kantine. Es war ziemlich dunkel. Die Straßenlampen hatten sie gelöscht, damit die Festbeleuchtung nicht unterging. Sie hörte Schritte hinter sich, drehte sich um, konnte aber nichts erkennen. Sie lief schneller, ihre Blase drückte.
Auf einmal packte sie jemand am Arm, zog sie zur Seite ins Gebüsch.
»Du wolltest mit mir reden?« Sandros Frage klang nicht gerade freundlich.
»Jetzt muss ich vor allem aufs Klo.« Sie befreite sich und steuerte auf den Weg zurück.
»Okay, ich warte.«
»Hier im Gebüsch?« Julia musste lachen.
»Nein, hinter dem Schuppen.«
Schon wieder dieser Schuppen. Julia versuchte sich zu beeilen, was gar nicht so einfach war. Der Rotwein hing an ihren Gliedern wie schwere Gewichte.
Zuerst dachte sie, Sandro hätte sie hereingelegt. Es war weit und breit niemand zu sehen, sie war um den ganzen Schuppen herumgelaufen. Doch dann nahm sie den Zigarettenrauch wahr und sah hinten bei den Tannen einen orangen Punkt auf- und wieder abflammen.
Sandro saß auf einem Stein. Er
Weitere Kostenlose Bücher