Berlin Fidschitown (German Edition)
ihrem Feuerwehrschlüssel und schob ihn zurück. Auf den Betonstufen lag Schnee. Farang folgte Heli vorsichtig. Am Ende der Treppe wartete noch eine Gittertür mit noch einem Vorhängeschloss. Heli musste die Handschuhe ausziehen, war aber auch für diese Barriere gerüstet.
Sie betraten den Vorraum zum Bunker.
„Hier war der Platz für die Bunkeraufsicht. Die hat die Ankömmlinge registriert und auf die zugeteilten Räume verteilt. Spätestens zwanzig Minuten vor der Bombardierung waren die Leute gewarnt.“
Farang musterte die schmutzigen Wände. Er hatte mal Luftschutzsirenen in einem Kriegsfilm gehört. Ein schauriges Geräusch, das einem durch Mark und Bein ging.
„Hier war die Gasschleuse“, fuhr Heli fort. „Im Bunker herrschte ein höherer Luftdruck als draußen. Es gab Ausgleichventile für den Überdruck nach draußen. Zur zusätzlichen Sicherung gegen Gas waren Stahltüren und Türen aus Asbestgemisch eingebaut, die inzwischen aber auf Grund der Umweltvorschriften entsorgt wurden.“
Die Ruine war gesichert, als könne sie ausgeraubt werden. Sogar eine provisorische Beleuchtung war installiert. In dem lang gezogenen Gang, den sie betraten, glomm alle zwanzig Meter eine Glühbirne. Eine nackte Zelle lag neben der anderen. Etwa fünfhundert Meter lang. Die einzelnen Räume waren etwa zweieinhalb mal vier Meter groß. Heli holte eine Stablampe aus ihrem Rucksack, leuchtete einige der Kammern heller für ihn aus und gab die Gesamtkapazität der Luftschutzräume mit eintausenddreihundert Personen an.
„Die Zellen waren ursprünglich mit Doppelstockbetten ausgestattet. Die kleineren mit sechs Betten, die größeren mit neun. Der Bunker ist in einen vormals geplanten U-Bahnhof mit Tunnel gebaut.“
Im langsamen Vorbeigehen sah er Nischen, zu denen fünf Stufen hinaufführten.
„Toilette und Waschraum waren stets höhergesetzt – wegen des nötigen Gefälles für die Hebeanlage.“
An den Wänden waren ab und zu verwitterte Schriftzeichen zu erkennen, die er nicht deuten konnte.
„Kyrillisch. Das waren die Russen am Ende des Zweiten Weltkriegs.“ Heli ging weiter. „Hier war eine Notküche. Das Essen brachten die Leute bei einem Luftangriff selber mit. Es gab nur einen Wasseranschluss. Dort lag ein Luftfilterraum. Leider ist in diesem Bunker nicht mehr viel von den alten Aggregaten und der sonstigen Ausstattung zu sehen.“
Farang fiel der starke Hall im Gemäuer auf. Jeder Schritt, jedes Wort wurde zurückgeworfen und verstärkt. Über ihnen hingen unzählige Wassertropfen an der Betondecke. Heli leuchtete sie mit der Stablampe an, und sie erstrahlten wie ein kleiner Sternenhimmel. Stellenweise stand Wasser in Gängen und Räumen. Aber Heli hatte bereits vor dem Ausflug Entwarnung gegeben. In diesem Abschnitt der Unterwelt kam er ohne Gummistiefel und Anglerhosen aus.
„Kein Eis?“ Farang tippte mit der Schuhspitze in eine Pfütze. „In allen unterirdischen Abschnitten, die keinen direkten Durchzug zur Außenwelt haben, ist es wärmer als draußen. Nach meiner Erfahrung auch bei Frost etwa plus acht bis zwölf Grad Celsius. Dafür ist es oft auch feuchter. Das ist der wahre Grund, wenn man friert. Ich habe mal in einem Bunker im Schlafsack übernachtet und bin nach zwei Stunden aufgewacht, so ist es mir in die Knochen gezogen. Man sollte sich hier unten auch möglichst langsam bewegen, damit man nicht ins Schwitzen kommt.“
Farang blieb vor einer Wand stehen, die mit handschriftlichen Vermerken verziert war. Einen davon konnte er auch im schwachen Licht der Glühbirnen entziffern.
30. 12. 56, Dung trocken .
Heli leuchtete die Wand mit der Lampe an. „Die Anlage wurde in den Jahren zwischen fünfzig bis dreiundsechzig zur Champignon-Zucht genutzt. Hier standen Podeste und Gestelle, auf denen Pferdemist und Bananenstroh ausgebreitet war.“
„Eine Pilzfarm?“
„Der Mist kam aus den Ställen der Galopprennbahn Hoppegarten, das Stroh aus dem Tierpark in Friedrichsfelde.“ Sie beleuchtete einige Schmierspuren, die die Wand in Brusthöhe zierten. „Was denkst du, was das ist?“
Er musterte die bräunlichen Streifen und Flecken eingehend. „Keine Ahnung.“
„Da haben sich die Arbeiterinnen des volkseigenen Betriebes Champignonzucht Torgau die Gummihandschuhe abgewischt. Die DDR hat die Produktion später wegen der Nähe zur Grenze und der damit verbundenen Fluchtgefahr eingestellt. Danach wurde der Bunker nicht mehr genutzt und stand leer. Auch eine Renovierung für den
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