Berlin Gothic 3: Xavers Ende
entferntes Brausen, als wäre das Brausen, das Till im Keller der Klinik gehört hatte, ein tausendfaches Rufen dieser Stimme gewesen. Ein Stimmenmeer, das nach ihm rief, ihn brauchte, hervorgestoßen aus Kehlen, die kaum mehr Luft bekamen, von Menschen gerufen, die er eingesperrt hatte, die nur noch ihn hatten, um hoffen zu können. Die sich dem Tod gegenübersahen und ihn anflehten, weil nur er sie retten konnte. Die wussten, dass sie ihm ausgeliefert waren, und von ihrer Angst vor dem Tod befeuert wurden.
Jetzt war es doch wieder ein Totenreich hier unten, ein schwarzes Loch, das in Bentheims Stimme lebendig geworden zu sein schien, Arme bekommen zu haben schien, mit denen es nach ihm griff - so dass Till nur noch schneller und schneller rannte, gegen die sandigen Wände des Gangs stürzend, sich aufrappelnd - raus hier, bevor der Sand über ihm zusammenstürzte, er kilometertief unter Berlin begraben sein würde, mit dem menschlichen, verletzlichen, gequälten Ruf Bentheims im Ohr, des Mannes, mit dem er für einige Minuten geflogen war - und den er jetzt zum Sterben in diesem Sandgrab zurückließ.
3
Heute
„Unmöglich, tut mir leid, er kann jetzt nicht.“
Frau Bastian lächelt. Butz ist immer gut mir ihr ausgekommen.
„Wer ist denn bei ihm?“, fragt er und lächelt zurück.
Frau Bastian, die Sekretärin des Polizeidirektors, beugt sich vor, sichtlich stolz darauf, mit welch wichtiger Person ihr Chef zu sprechen hat. „Der Bürgermeister.“ Sie lehnt sich zurück, wie um die Wirkung dieser Auskunft auf Butz‘ Gesicht zu studieren. „Deshalb bin ich auch noch hier.“
„Wow.“ Butz schenkt ihr ein Aufplustern seiner Bartstoppelwangen - und überlegt: Das kann natürlich dauern. Soll er sich hier zu Frau Bastian setzen und warten, bis der Polzeidirektor für ihn Zeit hat? Immerhin sind Fehrenbergs komplett leergeräumter Schreibtisch und Computer etwas, das er unverzüglich melden muss - melden will. Aber tatenlos im Vorzimmer sitzen? Er nickt Frau Bastian zu. „Gut, dann komme ich gleich nochmal wieder.“ Wendet sich zum Gehen.
„Grüßen Sie doch Ihre Freundin von mir!“, Frau Bastian schnalzt fast ein wenig mit den Lippen.
Butz bleibt stehen. „Ist ihr Antrag denn bewilligt worden?“
Claire hatte sich dafür interessiert, den Kriminaldauerdienst ein paar Wochen lang als Fotografin begleiten zu können, um Fotos für ihr Berlin-Buch zu machen. Butz hatte den Antrag abgegeben, den Claire dafür gestellt hatte.
„Ja … ja, der Antrag ist durch … “, Frau Bastian schiebt sich mit der rechten Hand ihre Friseur zurecht und sieht ihn fast schon ein wenig spöttisch von ihrem Schreibtischstuhl aus an. „Sie hat ihn inzwischen ja auch abgeholt - hat sie Ihnen das denn nicht gesagt?“
Ach ja? Butz nickt kurz. Nein, hat sie nicht - aber das ist ja auch egal, Hauptsache, Claire kann ihre Fotos machen …
„Ich habe sie ja neulich getroffen“, fährt Frau Bastian fort und Butz bemerkt, wie ihre Augen leuchten. „Ihre Frau - “, sie unterbricht sich, „Ihre Freundin, meine ich … toll, wie sie das macht.“
„Was macht?“
„Mit den Fotos das. Ich habe sie bei dem Boxkampf gesehen, wissen Sie? Sie ist einfach in den Ring geklettert - man konnte sie dort zwischen den Männern herumspringen sehen, die alle zwei Köpfe größer waren als sie. Aber davon hat sich Ihre Freundin nicht abschrecken lassen.“
Beim Boxkampf … Butz kommt sich vor wie ein Computer, der die Informationen erst mühsam aus den Tiefen seiner Festplatte hochholen muss.
Hatte Claire die Karten für den Boxkampf nicht von Henning bekommen?
„Waren Sie auch dort, ja?“ Er nickt etwas gedankenverloren.
Frau Bastians Busen wogt vor Aufregung. „Der Chef hat mir zwei Karten geschenkt“, ihre Fingernägelspitzen klackern auf der Tastatur, „hier sehen Sie?“ Sie dreht den Flachbildmonitor ein wenig herum, so dass Butz von der anderen Seite des Schreibtischs aus darauf schauen kann. „Ich habe auch ein paar Fotos gemacht!“
Der Monitor wird schwarz, einen Moment später erscheint bildfüllend das Foto einer Boxhalle. Die Ränge sind voll besetzt, in der Ferne: Der Boxring - zwei Gestalten darauf - einander umtanzend.
„Ich hab dann rangezoomt“, hört Butz Frau Bastian sagen, „ hier , sehen Sie - das ist sie.“
Den Hinterkopf kennt er. Claires langes dunkelblondes Haar fließt ihr über den Rücken. Sie hat den Kopf zwischen die Schulter gezogen, die Arme oben, die ganze Haltung geduckt
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