Berlin Gothic 3: Xavers Ende
Till. Es war die letzte Chance. Er musste sich überwinden. Er konnte es nicht in sich verschließen. „An deinen Vater, weißt du?“
Es war, als würde Lisa unmerklich zusammenzucken. Als wäre ihr Kopf ein wenig nach unten geruckt, als würde sie die Brötchentüte ein wenig fester noch an sich pressen.
Flip flop, Flip flop …
Sie trug ein Sommerkleid und ihre Badeschlappen klatschten über das Pflaster. Die Haare hatte sie hinten zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der bei jedem Schritt einmal wippte.
„Ich hab ihn sehr gern gemocht - “
Till schrak zusammen. Lisa hatte einen leisen Schrei ausgestoßen, sie musste die Papiertüte zu fest an sich gedrückt haben. Das Papier war gerissen, sie versuchte, die Brötchen zu halten, aber es waren zu viele, sie kollerten auf den Boden.
Erschrocken blickte Till in ihr Gesicht, sah, wie sie mit den Tränen kämpfte - dann streckte sie wütend die Arme aus und die übrigen Schrippen fielen zu Boden. Lisas Schultern rutschten nach oben, sie stand da, als hätte sie mit einem Mal verlernt zu laufen.
Till hockte sich hin, legte seine Tüte vorsichtig auf den Bürgersteig und begann, die Brötchen aufzusammeln.
„Und wo sollen wir sie jetzt reintun?“ Lisa sah ihn an, trotzig, traurig - und doch meinte Till, einen Anflug von Dankbarkeit in ihrem Blick auffangen zu können, Dankbarkeit weil er jetzt einfach das machte, was sinnvoll war, und die Backwaren aufsammelte.
Kurzerhand zog er sein frisch gewaschenes T-Shirt über den Kopf und tat die Schrippen dort hinein. Dann nahm er die Enden des Shirts zusammen, stand auf und reichte ihr das Bündel.
„Danke.“
Till bückte sich und schnappte sich seine eigene Tüte wieder. Als er hochsah, war sie bereits ein paar Schritte weiter gelaufen.
„Lisa!“ Er rannte zu ihr, ging neben ihr her. ‚DU MUSST ES IHR SAGEN!‘
„Ich habe deinen Vater immer gemocht, Lisa. Ich weiß nicht, warum er so gegen Max war - “
„Er war nicht gegen Max!“
Till zog rasch die Luft ein. Lisas Heftigkeit überraschte ihn. „Max ist ein Träumer, ein Verrückter“, stieß sie hervor. „Du kennst ihn noch nicht lange, Till. Aber Max ist einer, der einfach immer geradeaus rennt. Er macht nirgendwo halt, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Er kennt kein Zurück, es ist ihm egal, was aus den anderen wird. Er macht einfach immer weiter - und wenn dabei alles zu Bruch geht. Er kennt kein Maß, keine Zwischentöne, nur eins: Sich selbst. Deshalb ist er mit meinem Vater immer wieder aneinander geraten. Weil Papa versucht hat, ihn vor dem Schlimmsten zu bewahren. Weil Papa sich um ihn Sorgen gemacht hat.“
Sie blieb stehen und der Blick ihrer glühenden Augen wanderte über Tills Gesicht. „Ich weiß nicht, was aus Max werden wird, jetzt, wo mein Vater nicht mehr bei uns ist. Willst du Max aufhalten? Willst du dich um ihn kümmern? Ich kann es nicht. Auf mich hört er nicht, wenn es wirklich drauf ankommt, und auf meine Mutter auch nicht. Niemand wird ihn mehr bremsen können. Und weißt du, was das Schlimmste daran ist?“
Till schüttelte den Kopf.
„Dass er sich selbst dabei zugrunde richten wird“, schleuderte sie hervor und Till sah, wie ihr die Tränen hemmungslos über die Wangen liefen.
„Ich … ich werde versuchen, bei ihm zu sein“, stammelte Till, „ich mag Max, er ist mein Freund, das weißt du ja … “
‚Wie willst du ihm helfen, wenn sie dich fortbringen - wenn sie wissen, was du getan hast - sie werden dich nicht bei der Familie lassen … ‘
„Aber ich will gar nicht über Max reden, Lisa, ich will etwas anderes sagen, ich … “ Er rang nach Luft. „Es geht um deinen Vater, Lisa, nicht um Max - “
„NEIN!“, schrie sie ihn an, „NEIN! Was willst du mir denn sagen, Till? Was musst du mir denn sagen?“ Ihr Blick loderte, die Tränen hatten ihre Augen gerötet, die Haare, die sich aus dem Pferdeschwanz gelöst hatten, klebten ihr im Gesicht. „WAS?“
Und es verschlug ihm die Sprache. Wie sollte er ihr anvertrauen, was er auf dem Herzen hatte? Dass ER es gewesen ist, dass ER die Tür zugeworfen hat! Er liebte sie doch, er liebte ihren Blick, ihren Mund, ihre Ohren, er liebte, wie sie lief, liebte sie, wenn sie weinte, liebte ihre Stimme und liebte, was sie sagte. Er liebte Lisa und jetzt sollte er ihr sagen, dass er ihren Vater getötet hatte?
Da rannte sie. Ihre Flip-Flops waren auf dem Pflaster liegen geblieben, sein T-Shirt mit den Brötchen presste sie an sich. Sie rannte die
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