Berlin Gothic 3: Xavers Ende
Straße entlang, die in einem weiten Bogen zu der Sackgasse führte, an der die Villa der Bentheims lag.
Till folgte ihr mit dem Blick, sah sie zwischen den Häusern der Nachbarn wieder auftauchen, auf die Sackgasse gelangen - und die Schritte verlangsamen.
Er verengte die Augen zu Schlitzen.
Zwei Männer kamen Lisa entgegen.
In den letzten Tagen waren sie im Bentheim’schen Haus aus- und eingegangen, hatten das Arbeitszimmer von Lisas Vater im Gartenhaus ausgeräumt, stundenlang mit ihrer Mutter im Wohnzimmer geredet: Ein Mann, der sich Till beiläufig als ‚Felix‘ vorgestellt hatte - und mehrere Mitarbeiter von ihm. Zwei von ihnen, Männer mit Gesichtern, die so nichtssagend waren, dass Till sich nie so recht an sie erinnern konnte, kamen Lisa jetzt kurz vor dem Bentheim’schen Grundstück auf der Straße entgegen.
Till sah, wie einer von ihnen Lisa das T-Shirt mit den Brötchen abnahm, während sich der andere zu ihr herunterbeugte. Till meinte, Lisa förmlich nach Luft ringen zu sehen, zögern zu sehen, doch dann wandte sie sich ruckartig um - und zeigte die Straße hinunter, in die Richtung aus der sie gekommen war.
Till riss den Kopf zurück, verfolgte, wie sich Lisas Blick drehte, wie sie an den Nachbarhäusern vorbei schaute -
dann trafen sich ihre Blicke.
Im nächsten Augenblick sah er nur noch das Pflaster vor seinen Augen tanzen.
Till rannte.
Die Straße hinunter, die Brötchentüte von sich werfend, den Kopf gesenkt - mit Schritten, von denen er das Gefühl hatte, dass sie kaum mehr den Boden berührten.
5
Till wusste nicht, ob sie hinter ihm her waren, aber er wagte es nicht, sich umzudrehen. Sollte er in einen der angrenzenden Gärten springen, sich hinter einer Hecke verstecken? Und wenn sie ihn dabei sahen?
Er lief. Überquerte die Straße, lief weiter, bis der Hall seiner Schritte von den Wänden der S-Bahn-Unterführung zurückgeworfen wurde, die als Abkürzung für Fußgänger unter dem Bahndamm hindurchführte.
Till drehte sich um. Es waren nur seine Schritte zu hören gewesen, sie konnten also noch nicht hinter ihm in die Unterführung gelaufen sein. Er sah das Ende des Tunnels gut dreißig Meter hinter sich als Lichtkugel, in deren gleißendem Sonnenschein die Autos, die Bäume, die Straße fast aufgelöst schienen wie Gegenstände in einem überbelichteten Foto.
Dort waren sie. Sie liefen nicht so schnell sie konnten und rannten doch zügig auf den Eingang der Unterführung zu.
Lautlos eilte Till tiefer hinein in die Röhre. Eine Einbuchtung, ein Elektrokasten! Im gleichen Moment hörte er, wie die Schritte der beiden Männer hinter ihm im Tunnel widerzuhallen begannen. Mit einem Satz war er auf dem Kasten, glitt in die schmale Spalte zwischen ihm und der hinteren Wand der Einbuchtung. Die Lücke war gerade groß genug, um Tills schlanken Körper aufzunehmen.
Die Schritte der Verfolger prasselten näher. Till presste sich in sein Versteck - in seinem Kopf rauschte es … Er spürte die kühle Plastikverschalung des Kastens an seinem Bauch, die leise Vibration der Schaltungen, die darin verborgen waren - im Rücken die körnige Oberfläche der Wand.
Die Schritte hielten inne.
Hatten sie ihn entdeckt?
Till hielt die Luft an.
Und schauderte.
Er konnte die beiden Männer leise miteinander sprechen hören, aber …
Ihre Stimmen … was war das?
Ein Zischeln und Glucksen - ein Geräusch, bei dem Till fast würgen musste. Es klang wie das Rascheln eines verendenden Insekts!
Können sie mich riechen, schoss es ihm durch den Kopf - im gleichen Moment sah er sie in dem Spalt zwischen Elektrokasten und Seitenwand auftauchen.
Sie starrten in die Unterführung - hatten ihn offensichtlich in der Einbuchtung noch nicht bemerkt.
Tills Blick tastete ihre Köpfe ab. Sie trugen keine Masken, die ihre Ameisenglieder verdeckten … und doch … Es war ein Zischeln , das aus ihren Mündern hervorkam!
Oder hörte er nur das Pumpen des Bluts in seinen Adern, das unterdrückte Keuchen, das sich um jeden Preis seiner Brust entringen wollte?
Im nächsten Augenblick waren die beiden Männer an dem Kasten vorbei, hinter dem er kauerte. Till hörte, wie ihre Schritte sich entfernten, sie hatten ihn nicht gerochen.
Über seinen nackten Oberkörper rann der Schweiß. Er wartete, bis ihre Schritte ganz verklungen waren, dann kroch er aus seinem Versteck hervor.
6
„Und wenn es doch stimmt?“
„Ich hab es mir ausgedacht, Till! Wie oft soll ich dir das noch sagen!“
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