Berlin Gothic 3: Xavers Ende
Ärgerlich feuerte Max den Hefter in seine Schultasche und stand auf. Er hatte sämtliche Schulsachen auf dem Boden verstreut und versucht, eine gewisse Ordnung hineinzubekommen, bevor es mit der Schule morgen wieder losging.
„Vielleicht habe ich mich getäuscht, was die Stimmen der beiden in der Unterführung angeht“, hielt Till dagegen. „Trotzdem, Max: Was wollen sie hier in dem Haus? Was haben sie hier zu suchen?“
Er war zurück zu der Villa gerannt und, ohne von jemandem bemerkt zu werden, hinauf in Max‘ Zimmer.
Max ließ sich aufs Bett fallen. „Sie holen Papas Sachen ab, seine Manuskripte, seine Notizbücher, seinen Computer. Mama sagt, Felix habe es ihr erklärt.“
„Felix!“ Till zog die Füße auf den Schreibtischstuhl, auf dem er Platz genommen hatte. „Wer ist das? Hast du mal mit ihm gesprochen?“
„Er hat mir guten Tag gesagt.“
„Ich trau ihm nicht.“ Till versuchte, in Max‘ Gesicht zu lesen.
Aber Max schien sich auf Tills Überlegungen nicht einlassen zu wollen. „Lass uns die ganze Sache am besten so schnell wie möglich vergessen“, murmelte er, „wir können ohnehin nichts mehr daran ändern.“
Till schüttelte den Kopf. Wie sollte das jemals möglich sein? „Und wenn es noch nicht vorbei ist? Wenn sie sich erst deinen Vater geschnappt haben und jetzt immer weiter machen wollen? Das hast du doch selbst gesagt - “
„Hast du es immer noch nicht kapiert?!“ Jetzt war Max richtig wütend, das war nicht zu übersehen. „Ich habe dich auf den Gedanken gebracht, weil ich dachte, dass du mir helfen kannst.“
„Aber deswegen kann es doch trotzdem wahr sein!“ Auch Till hatte seine Stimme erhoben. „Auch wenn du dir das mit der Abteilung im Krankenhaus nur ausgedacht hast, Max! Aus irgendeinem Grund musst du doch darauf gekommen sein! Vielleicht gibt es diese Abteilung nicht wirklich, na schön. Aber all die anderen Sachen? Dass dein Vater sich verändert hat? Die Frau, die wir im Keller des Gartenhauses gesehen haben? Die Papageien? Was er mir gesagt hat, als er mir die beiden Hunde gezeigt hat?“
„Glaubst du wirklich, Außerirdische haben sich ihn geschnappt?“ Fassungslos starrte Max Till an. „Komm runter, Till. Du hast ihn eingesperrt - das hättest du niemals tun dürfen! Und versuch nicht, dich jetzt damit herauszureden, dass du an etwas festhältst, was vollkommener Blödsinn ist. Wach auf, Till, wach endlich auf!“
Und damit wandte er sich stur ab und beugte sich wieder über seine Schulsachen.
Till fühlte, wie sein Mut sank. Er würde nicht auf Max zählen können. Stimmte, was Max sagte? Versuchte er nur verzweifelt für das, was er getan hatte, eine Entschuldigung zu finden? Natürlich war es aberwitzig, zu glauben, dass Bentheim … dass Felix … dass es etwas geben würde, von dem Till noch immer nicht wusste, was es war … etwas, das diese Familie im Griff hielt, das sich im Hintergrund vollzog, das all die Dinge erklärte, die um ihn herum geschahen …
Wenn er sich all das Merkwürdige aber wirklich nur einbildete - und während Till weitergrübelte, spürte er, wie unerbittlich die Logik dieses Gedankens war - wenn er sich das alles nur einbildete, dann blieb ihm nichts anderes übrig: Dann musste er sich zu dem, was er mit Bentheim gemacht hatte, bekennen.
Mit kaltem Schweiß auf der Stirn erhob er sich aus dem Stuhl. Er würde mit Julia sprechen. Er würde ihr sagen, was unten in den Kanälen passiert war. Es musste ein Ende haben.
In seinem eigenen Zimmer zog Till ein frisches T-Shirt über, dann lief er die Treppe hinunter. Er nahm an, dass Max‘ Mutter im Garten war und wollte keine Zeit mehr verlieren.
Als er in die untere Halle kam, sah er durchs Wohnzimmerfenster hindurch Lisa mit Felix von Quitzow zusammen auf der Terrasse stehen. Lisa hatte den Kopf ein wenig in den Nacken gelegt und schaute zu von Quitzow auf.
Till blieb am Fuß der Treppe stehen und drückte sich an die Wand, um von den beiden nicht bemerkt zu werden. Was sie miteinander besprachen, konnte er von seiner Position aus nicht hören. Auch Felix‘ Gesicht konnte er nicht sehen, dafür aber das von Lisa. Und es kam Till so vor, als wüsste sie nicht recht, wie sie dreinschauen sollte. Als würde sie sich nicht sicher sein, was sie denken sollte, und zugleich fasziniert von dem, was sie fühlte. Als würde sie wissen, dass sie dem Mann vor ihr nicht gewachsen war und zugleich den wohligen Schauer genießen, den seine Übermacht ihr einflößte. Als
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