Berlin Gothic 4: Der Versteckte Wille
Hochzeitsgäste zu versammeln begannen, „warten ein paar gute Freunde auf mich.“ Schließlich war es ja auch die Hochzeit seiner Schwester.
Nina war anzusehen, dass sie sich einen Moment lang konzentrierte, was ihrem Gesicht jedoch, wie Max fand, keinen harten Zug verlieh, sondern eine Wachsamkeit, die ihr durchaus stand. „Und warum gehst du nicht zu deinen Freunden?“, fragte sie.
Weil du hübsch bist!
Er überlegte. „Weil du hübsch bist.“ Es war draußen, bevor er sich dagegen entscheiden konnte, es zu sagen.
Nina sah ihn an und es kam ihm so vor, als würde sich das Kompliment wie ein zusätzlicher Glanz auf ihre Züge legen. Das Kribbeln in Max‘ Fingerspitzen breitete sich über seine Arme bis in seine Bauchhöhle hinein aus – fast schien es in seinen Ohren zu sausen, ja den ganzen Raum zu erfüllen.
„Danke“, sagte Nina – und senkte den Kopf, um sich wieder mit ihrem Dessert zu beschäftigen.
Max schluckte. Ist doch egal, hab ich eben ausgesprochen, was ich denke. Nur konnte er jetzt natürlich nicht aufstehen und gehen. Oder? Wenn sie hier sitzen bleibt, obwohl ich ihr gerade gesagt habe, dass ich sie hübsch finde, gingen seine Gedanken weiter, was soll dann eigentlich als nächstes passieren?
Und plötzlich kam es ihm so vor, als würde er schon spüren, wie es sich anfühlte, ihren entkleideten Körper in einem frisch zerwühlten Bett zu umschlingen.
6
Heute
Rumpelnd und kreischend rattert der U-Bahnzug in den Bahnhof. Es ist noch früh am Morgen, die Wagons sind fast leer.
Ein Grollen, Brechen und Schütten erfüllt die tunnelartige Röhre, zu der sich der U-Bahnschacht im Bahnhof weitet - ein unterschwelliges Rumpeln, das sich in das Kreischen mischt, mit dem der Zug zum Stehen kommt.
Für einen Moment ist es ruhig. Kein Fahrgast befindet sich auf dem Bahnsteig, keiner steigt aus.
Ein Signalton, dann setzt sich der Zug mit einem Ruck wieder in Bewegung. Und rollt aus dem Bahnhof heraus.
Da ist es wieder. Das Rumpeln und Poltern. Stärker und lauter noch als gerade eben.
Es ist niemand da, der es hört. Und doch versetzt es die Mauern des Bahnhofs in Schwingungen.
7
Zwei Jahre vorher
„Warum hast du mich nicht vorher angerufen?!“ Max schrie fast. „Du hättest dir doch denken können, dass ich wissen will, ob du kommst. Und erzähl mir nicht, dass du dich erst in letzter Minute entschieden hast. Wann hast du den Flug denn gebucht?“ Er starrte Till an, wartete dessen Antwort aber gar nicht ab, sondern nahm sie selbst vorweg, indem er Tills Stimme in übertrieben verzerrter Form imitierte. „ Wann ich gebucht habe? Wann soll ich schon gebucht haben? Sonntag? Mittwoch? Dienstag? Was weiß ich, wann ich gebucht habe, vielleicht letzten Monat. Was geht dich das überhaupt an?“
Max schlug mit der Faust auf den Tisch, dass es schepperte. „Einen Scheißdreck, hörst du, es geht mich einen Scheißdreck an, ob du zur Hochzeit meiner Schwester kommst, oder nicht. Aber das ist mir egal. Ich hätte es einfach gern gewusst. Ist das nicht vielleicht Grund genug, um mich im Vorfeld zu informieren?“ Jetzt hielt er doch inne und sah Till mit aufgerissenen Augen an. Der hatte die Hände auf die Tischplatte gelegt, die Fingerspitzen ineinander verschränkt, und sagte nichts.
Max drehte sich zu Nina um, die zusammen mit ihm an den Tisch getreten war. „Sieh dir das an, er hält es nicht für nötig, mir darauf zu antworten!“
Nina blickte an ihm vorbei zu Till, der ihr jetzt die Hand entgegenstreckte. „Till Anschütz, ich glaube, wir kennen uns noch gar nicht.“
Max ließ den Blick nicht von Nina, während sie ihre Aufmerksamkeit ganz Till zugewandt hatte.
„Nina Lowith“, sagte sie und warf Max einen schnellen Blick zu. „Ha … jetzt weißt du doch, wie ich heiße.“
Max zuckte mit der Schulter. „Sie hat mir ihren Nachnamen noch nicht verraten wollen“, er sah wieder zu Till, „wir haben uns heute zum ersten Mal richtig unterhalten.“
Till lächelte. „Ich wollte mich melden, Max, aber dann … weißt du, ich dachte, es sei vielleicht eine gute Idee, mal eine Überraschung zu machen.“
Max plusterte die Wangen auf. Kurz bevor er mit Nina an Tills Tisch getreten war, hatte er mit ihr noch einmal den Kühlraum aufgesucht. Eigentlich, weil er einen Schluck von dem Wodka hatte trinken wollen. Aber als er in dem Raum gestanden und die Flasche hervorgeholt hatte, hatte sie ihn plötzlich am Arm berührt. ‚Willst du nicht lieber was
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