Berlin Wolfsburg (German Edition)
Muth-Leute einen Verräter in ihren Kreisen …«
»Und warum verschonen sie dann die Gruppe und nehmen sich lediglich
die Polizisten vor?«
»Vielleicht lassen sie sich einfach nur Zeit, und früher oder später
sind die anderen auch dran.«
Johanna spürte, dass ihre Kopfschmerzen zurückkehrten – mit alter
Kraft. »Ich hoffe, dass Sie falsch liegen – das klingt verdammt nach Krieg.«
»Das ist Krieg«, sagte Kuhl leise.
Johanna spürte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief.
»Kann ich Sie heute Abend auf ein Glas Wein einladen?«
Die Kommissarin zögerte. Sie war erschöpft, und ein Glas Wein war
das Letzte, worauf sie später Lust haben würde. Das wusste sie jetzt schon.
Lieber ein kühles Bier und dann einfach nur ins Bett fallen, um hoffentlich
tief und traumlos zu schlafen und die Erschöpfung abzustreifen. Seit sie
fünfzig war, brauchte sie länger, um sich zu regenerieren. Vielleicht kam ihr
das aber auch nur so vor.
»Es ist wichtig«, fügte Kuhl noch leiser hinzu. »Ich möchte Ihnen
etwas zeigen. Passt Ihnen neunzehn Uhr? Adresse schicke ich Ihnen gleich per SMS .«
Fünf Minuten später traf die Kurznachricht ein. Johanna las sie
zweimal und ließ sich zwei Kopfschmerztabletten von Mareni geben.
***
Tanja Bäumler war keine Frau, die in Erinnerungen schwelgte – ob
nun in guten oder in schlechten –, sondern versuchte, nach der ebenso
schlichten wie befreienden Devise zu leben, dass es sinnfrei war, sich um Dinge
zu kümmern, die sie nicht ändern oder beeinflussen konnte. Das betraf die
Zukunft genauso wie die Vergangenheit. Natürlich gelang ihr das keineswegs
immer oder gar vollständig. Manchmal blieb einem nichts anderes übrig, als sich
mit Vergangenem auseinanderzusetzen.
Dass es ein Fehler gewesen war, sich auf Bernd Lange einzulassen,
hatte sie nicht erst begriffen, als er auf diese grauenvolle und unfassbare
Weise ums Leben gekommen war. Schon Wochen vorher hatte sie immer wieder den
Absprung gesucht, ohne dieses Vorhaben dann konsequent umsetzen zu können. So
war sie schließlich allein in den Urlaub gefahren, um aus dem Abstand heraus
die nötige Sicherheit und die richtigen Worte zu finden, mit denen eine kaum
zehn Monate bestehende Beziehung angemessen beendet werden konnte – davon
überzeugt, dass Bernd im Grunde seines Herzens ähnlich fühlte und dachte. Als
sie aus dem Flieger stieg und ihr Handy aktivierte, war er längst tot gewesen.
Der Kommissarin hatte sie auf ihr beharrliches Nachfragen
schließlich erzählt, Bernd hätte sich in auffallender Weise verändert – zu
seinem Nachteil. Das stimmte. Anfangs hatte Tanja gedacht, es läge an seinem
Beruf, an der Brutalität, mit der er täglich zu tun hatte, und auch daran, dass
nach einigen Monaten die rosaroten Wolken vorbeigezogen waren. Man gab sich
weniger Mühe, dem anderen zu gefallen, man vernachlässigte gemeinsame
Aktivitäten und hockte abends oder nachts lieber vor der Kiste und sah sich
bescheuerte Filme an – all das kündigte den Beginn des grauen Alltags an, das
konnte man in jedem Beziehungsratgeber nachlesen. Doch das war nur ein Aspekt
gewesen, wie ihr jetzt klar wurde. Die Andeutungen der Kommissarin waren
vorsichtig und doch unmissverständlich gewesen – wenn man verstehen wollte.
Das letzte gemeinsame Wochenende hatten sie Ende Juni zusammen
verbracht – in Güterfelde, im Haus seiner Eltern, die gerade in Spanien waren.
Tanja dachte nicht gern daran zurück. Bernd hatte eigentlich nur nach dem
Rechten sehen wollen und dann vorgeschlagen, über Nacht zu bleiben und am
nächsten Morgen im nahe gelegenen Haussee schwimmen zu gehen. Eigentlich war es
ein friedlicher Tag gewesen. Sie hatten ein bisschen im Garten gearbeitet, die
Abwechslung hatte beiden gutgetan, und Tanja war einverstanden gewesen. Als sie
schlafen ging, blieb Bernd noch in der Küche sitzen. Später hörte sie, dass er
im Wohnzimmer den Fernseher einschaltete. Sie begrub die zarte Hoffnung, er
würde bald nachkommen.
Als sie aufwachte, war es mitten in der Nacht. Sie wusste nicht, was
sie geweckt hatte – vielleicht ein ungewohntes Geräusch, vielleicht ihre
ausgedörrte Kehle. Bernd lag nicht neben ihr. Sie stand auf und ging ins Bad,
um sich ein Glas Wasser zu holen. Im Haus war es so still, dass die gedämpften
Geräusche des Fernsehers bis nach oben drangen. Tanja sah auf die Uhr – es war
drei. Bestimmt ist er vor dem Fernseher eingeschlafen, dachte sie, vor einem
dieser Gruselschocker, die er sich
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