Berndorf 07 - Trotzkis Narr
Stukkarts Arbeitszimmer und betrachtet das Häusermeer, das sich zu Füßen des Regnier-Hochhauses ausbreitet. »Gerne ein Mineralwasser.«
»Aber ja doch«, meint Stukkart, und es klingt ein wenig überrascht.
Stukkart hat das Dossier nicht gelesen, denkt Stefan Andermatt. Wie kann ihm ein solcher Fehler unterlaufen? Gennadij Wassiljewitsch Ruzkow, von 1984 bis 1989 Militärattaché bei der sowjetischen Botschaft in Ostberlin, trinkt keinen Alkohol. Steht rot markiert im Dossier. Außerdem will er nicht erklären müssen, warum er keinen trinkt. Auch das ist rot markiert.
Stukkart wirft einen Blick zu Andermatt, der schließt sich an, und so wird übers Telefon eine Runde Mineralwasser bestellt. »Ich erinnere mich noch gut an Jelzins letzten Besuch hier in Berlin«, sagt Stukkart, als er wieder auflegt, »größere Mengen Mineralwasser sind damals nicht geflossen.«
Du Hornochse, denkt Andermatt und wendet sich ein wenig ab.
»Ja«, antwortet Ruzkow knapp und dreht sich um und richtet einen ausdruckslosen Blick auf Stukkart. »Ich war dabei.«
»Es war sehr lustig damals«, meint Stukkart.
Wie lange, denkt Andermatt, willst du das noch treiben, du bodenlos dummschwätzender Narr!
»Ich fand das weniger«, bemerkt Ruzkow und wirft einen forschenden Blick zu Andermatt. Der hebt ganz leicht die Augenbrauen und sagt, das sei damals sicherlich eine außergewöhnliche Situation gewesen. »Außergewöhnlich für alle Beteiligten. Es war ein sehr düsteres Kapitel europäischer Geschichte, unter das damals ein Schlussstrich gezogen wurde.«
»Gewiss«, kommt es von Ruzkow.
Eine von Stukkarts notorisch hübschen, notorisch jungen Sekretärinnen erscheint und serviert das Mineralwasser. Der Blick, mit dem Ruzkow sie betrachtet, lässt erkennen, dass er nicht gegen alle Versuchungen gefeit ist. Aber auch das steht im Dossier.
»Dann hebe ich eben ein Glas Mineralwasser auf unser Wohl«, sagt Stukkart, als sich die Tür des Arbeitszimmers wieder hinter der Hübschen schließt, »auf ein nicht nur nüchternes, sondern auch ein gutes Gelingen!« Noch immer blickt Ruzkow misstrauisch, aber die Spannung, die sich so unversehens aufgebaut hat, löst sich langsam, und die drei Männer gehen an den langgestreckten Besprechungstisch, auf dem Streckenpläne, Architekturzeichnungen und Diagramme ausgebreitet sind.
»Wir kennen dieses Material bereits«, stellt Ruzkow nach einer kurzen Musterung fest. »Es ist sehr sorgfältig gearbeitet.« Er blickt Andermatt an, und der erlaubt sich ein kurzes Nicken. Schließlich ist es seine Arbeit gewesen. Zumeist seine Arbeit. »Moment, das hier … das kenne ich noch nicht.« Er greift sich einen großformatigen kartonierten Band. »Baugeschichtliche Fallstudien, eh?« Er blättert den Band durch. »Nette Fotografien, ja doch … aber?« Er blickt fragend zu Stukkart, der etwas ratlos beide Hände hebt – damit ist er nicht befasst.
»Eine begleitende Studie«, sagt Andermatt. »Es ist manchmal hilfreich, solche Untersuchungen in Auftrag zu geben.« Dabei verzieht er keine Miene.
»Aha«, macht Ruzkow, »es beruhigt mich, das zu hören.« Er klappt den Band wieder zu und legt ihn zurück. »Wir haben in letzter Zeit immer mehr Zweifel bekommen, ob sich von diesen Plänen auch nur ein …« Er sucht nach dem Wort. »… nur ein Federstrich verwirklichen lässt. Wer innerhalb des Senats von Berlin ist bitte sehr in der Lage, die städtebauliche Tragweite dieser Planung zu erkennen und sie dann auch durchzusetzen?« Er blickt von Stukkart zu Andermatt. »Wir haben versucht, mit dem Verkehrssenator Kontakt aufzunehmen. Höflich haben wir das versucht. Mit präzisen Angaben zu unseren Interessen und unserem – wie soll ich sagen – zu unserem finanziellen Hintergrund. Wollen Sie wissen, was passiert ist?«
Stukkart hebt eine Hand. »Lassen Sie mich raten?«, fragt er. »Der Herr Senator hat sich für Ihr Interesse bedankt und geantwortet, das S-Bahn-Netz könne aus dem Verkehrsverbund mit den U-Bahnen und den Bussen leider nicht herausgelöst werden … Ist es nicht so?«
»So ungefähr«, antwortet Ruzkow säuerlich.
»Den gleichen Unsinn hat er uns erzählt, nicht wahr?«, fährt Stukkart fort und blickt zu Andermatt, der höflich und bestätigend nickt. »Freilich ist alles mein Fehler«, fährt Stukkart fort, »aber setzen wir uns doch!« Und mit dem Glas Mineralwasser deutet er zu der Sitzgruppe, die vor dem Panoramafenster angeordnet ist.
D ie Werkstatt befindet sich in einem
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