Berndorf 07 - Trotzkis Narr
sein Kumpel im Wagen gewartet, um ihn postwendend in eine sichere Unterkunft zu bringen, die sich dann vermutlich eben nicht in Potsdam befinden wird.« Sie blickt um sich, ihren Schreibstift in der Hand, ihr Blick bleibt an Keith hängen. »Ihre Gesprächspartner von LKA Fünf haben doch die ganze Zeit behauptet, Harlass habe sich vergeblich um Anschluss an Gesinnungsgenossen bemüht? Immer nur vergeblich? Sind diese Herrschaften wirklich so wählerisch geworden?«
»Wir können in diesem Bereich keine eigenen Ermittlungen führen«, antwortet Keith, der sich ganz leicht aufgerichtet hat und mit leiser, sorgfältig akzentuierter Stimme spricht wie jemand, der mühsam einen unmittelbar bevorstehenden Wutausbruch unter Kontrolle zu halten versucht. »Vielleicht wäre es besser, Sie würden direkt mit dem Chef des polizeilichen Staatsschutzes sprechen. Als Leitende Staatsanwältin haben Sie einen entsprechenden Dienstrang. Sie muss er empfangen. Mich nimmt er überhaupt nicht wahr.«
Mit schmalen Augen blickt Keith nicht in die Runde, sondern über sie hinweg. Niemand feixt.
»Ich habe es mir notiert«, antwortet die Staatsanwältin kühl, den Schreibstift in der Hand. »Davon abgesehen sind wir aber trotzdem gehalten, eigene Ermittlungen zu führen. Auch wenn der polizeiliche Staatsschutz, der in der Aufklärung der Neonazi-Szene so äußerst erfolgreiche, so himmelschreiend aufmerksame polizeiliche Staatsschutz etwas nicht wahrgenommen haben will, so müssen wir doch keineswegs die Hände falten und es glauben und um Gottes willen keine eigenen Erkenntnisse erarbeiten!« Beschwörend hält sie den Schreibstift hoch. »Schreiben Sie alle mit, was ich Ihnen jetzt sage, damit später sich niemand darauf herausreden kann, das habe er oder sie nicht gehört: Der Doppelmörder Lutz Harlass hat Unterstützer, die ihn beherbergen …« Wieder unterbricht sie sich und fasst diesmal den Kommissar Ulrich Jörgass ins Auge. »Sie lächeln?«
»Ich bin ganz Ihrer Meinung«, sagt Jörgass. »Nur würde ich Ihren letzten Satz ergänzen wollen – dass es Leute geben muss, die ihn beherbergen – oder ihn verschwinden lassen werden. Wenn sie es nicht schon getan haben.«
P rofessor Ewald Carius ist ein hochgewachsener, sonnengebräunter Mann mit einem Lächeln, das ihm im jahrzehntelangen Umgang mit Bauherren, Kommunalpolitikern und anderen intellektuell Minderbemittelten zum zweiten Gesicht geworden ist. Im Augenblick allerdings ist die Oberlippe zwar hochgezogen, verharrt dort aber, als wäre das Lächeln auf halbem Wege eingefroren.
»Entschuldigung«, sagt er, »aber ich bekomme gleich Migräne … weshalb, noch mal, sprechen Sie bei mir vor?«
»Spätherbst 1992«, hebt Tamar an, »Neubau eines Geschäftshauses in der Torstraße, Berlin Mitte. Es würde mich interessieren, ob es dabei unplanmäßige Verzögerungen gegeben hat. Zum Beispiel durch Hausbesetzer.« Wie oft hat sie das jetzt vorgetragen?
»Und damit sind Sie bis zu mir vorgedrungen?« Carius, die buschigen Augenbrauen hochgezogen, blickt sie über die Halbgläser seiner Brille hinweg an wie ein seltenes, nicht uninteressantes, aber auch nicht ungefährliches Tier. »Ich sollte Sie engagieren. Auf der Stelle sollte ich das. Lassen Sie mir Ihre Karte da! Sobald ich weiß, welchen Job ich für Sie habe, rufe ich an!«
»Aber gerne«, sagt Tamar, »doch darf ich Sie noch einmal nach dem Spätherbst 1992 fragen?«
»Okay«, sagt Carius und hebt beide Hände zum Zeichen der Aufgabe, »aber erklären Sie mir, warum Sie das wissen müssen, und vor allem: warum ich Ihnen antworten soll.«
»Der heute 55jährige Erwin Krummschmidt würde einen bescheidenen, für ihn aber vermutlich nicht unwichtigen Geldbetrag erben, wenn er denn noch lebt«, lügt Tamar. »Vielleicht müsste ich sagen: wenn sie noch lebt. Krummschmidt ist transsexuell und war damals als die Wahrsagerin Carmencita bekannt. Bis zum Herbst 1992 hielt er – hielt sie sich in Berlin auf, bekam dann aber in ihrer Szene ziemlichen Ärger. Angeblich kampierte sie zuletzt in dem Neubau ebendieses Geschäftshauses in der Torstraße und verschwand, nachdem es dort Anfang November zu einer Schlägerei gekommen war.«
»Moment!«, Carius zeigt anklagend mit seiner breiten, von Altersflecken übersäten Hand auf Tamar, »Sie wollen damit sagen, dass wir ein Rollkommando dorthin geschickt hätten?«
»Durchaus nicht«, antwortet Tamar kühl. »Ich sagte Ihnen doch, Carmencita hatte Ärger in ihrer eigenen
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